Meilicke Hoffmann und Partner - Anwaltskanzlei Bonn

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    Änderungen im Gesellschaftsrecht sowie im Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie für Wohnungseigentümergemeinschaften

    I Für welche Gesellschaften gelten die neuen Regelungen?

    Die Änderungen betreffen insbesondere Kapitalgesellschaften, wie die Aktiengesellschaft, die GmbH, die Kommanditgesellschaft auf Aktien (KGaA) und die Europäische Aktiengesellschaft (SE), daneben aber auch den Verein und die Genossenschaft. Das Gesetz enthält auch Regelungen zur Wohnungseigentümergesellschaft, der Stiftung und der Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit. Regelungen zu Personengesellschaften fehlen (dazu mehr unter V.)

    II. Worum geht es im Kern?

    Die behördlichen Maßnahmen, insbesondere die Einschränkung von Versammlungsmöglichkeiten, haben erhebliche Auswirkungen auf die Handlungsfähigkeit von Gesellschaften, insbesondere AG, KGaA, SE und GmbH. Diese können anstehende Haupt- bzw. Gesellschafterversammlungen nicht wie geplant abhalten und notwendige Beschlüsse nicht fassen – wie beispielsweise die Feststellung des Jahresabschlusses, die Gewinnverwendung und die Bestellung von Organmitgliedern, oder aber auch existenznotwendige Kapitalmaßnahmen. Die Unsicherheit ist groß; ein Aktionär versuchte bereits vergeblich, eine für Mai angesetzte Hauptversammlung einer Bank im einstweiligen Rechtsschutz untersagen zu lassen (Verwaltungsgericht Frankfurt a.M., Az. 5 L 744/20.F). Das Gericht entschied, es sei nicht sicher, ob die Hauptversammlung überhaupt stattfinde oder aber die Gesellschaft ausreichende Sicherheitsvorkehrungen treffen werde. Eine Entscheidung in der Sache steht damit noch aus – Gesellschaften, die eine Präsenz-Hauptversammlung planen, müssen daher im Fall anhaltender Beschränkungen aufgrund der COVID-19-Pandemie mit weiteren Versuchen von Aktionären rechnen, auf diesem Wege die Versammlungen zu verhindern.

    Um die Abhaltung von Hauptversammlungen trotz der Einschränkungen der Versammlungsmöglichkeiten sicherzustellen, sieht das Gesetz weitreichende Erleichterungen vor, um Hauptversammlungen ohne physische Präsenz zu ermöglichen. Zentrale Eckpunkte des Gesetzes sind:

    1. Erleichterung der elektronischen Teilnahme

    Der Vorstand kann auch ohne eine Satzungsgrundlage entscheiden, dass Aktionäre elektronisch an der Hauptversammlung teilnehmen (§ 118 Abs. 1 S. 2 AktG) und ihre Stimme elektronisch abgeben können (§ 118 Abs. 2 AktG); zudem kann er zulassen, dass Aufsichtsratsmitglieder per Video zugeschaltet werden (§ 118 Abs. 3 S. 2 AktG) und die Hauptversammlung elektronisch übertragen wird (§ 118 Abs. 4 AktG).

    Diese Regelungen sind keine Neuerungen im Aktienrecht, sondern machen sie auch einer Vielzahl von Gesellschaften zugänglich, die keine entsprechenden Satzungsregelungen haben und somit - jedenfalls im Fall anhaltender Versammlungsbeschränkungen - nicht handlungsfähig wären.

    2. Virtuelle Hauptversammlung

    Der Vorstand kann beschließen, dass die Hauptversammlung unter bestimmten Voraussetzungen rein virtuell, also ohne Möglichkeit der physischen Teilnahme, abgehalten wird. Dies ist ein Novum im Aktienrecht, da bislang nur die virtuelle Teilnahme an einer Präsenzhauptversammlung möglich war. Die Gesellschaft muss für die Wahrung zentraler Aktionärsrechte sorgen – wie beispielsweise die elektronische Stimmrechtsausübung, die Fragemöglichkeit auf elektronischem Wege und die Möglichkeit zur Erhebung von Widerspruch gegen die Beschlussfassung unter Verzicht auf das Erfordernis des Erscheinens in der HV. Als erste Aktiengesellschaft aus dem DAX plant die Bayer AG ihre Hauptversammlung virtuell abzuhalten.

    Das Gesetz gibt dem Vorstand für die virtuelle Hauptversammlung weitgehende – u.E. zu weitgehende! (dazu mehr unter V.) – Möglichkeiten zur Gestaltung des Auskunftsrechts für die Aktionäre. Insbesondere kann er anordnen, dass Aktionäre ihre Frage bis zu zwei Tage vor der Hauptversammlung bei der Gesellschaft einreichen müssen; auch liegt die Beantwortung der Fragen im Ermessen des Vorstands.

    Das Gesetz enthält zudem weitreichende Beschränkungen der Anfechtbarkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen. Im Kern sollen Beschlüsse nicht aufgrund technischer Probleme/Störungen bei der Abhaltung einer virtuellen Hauptversammlung angefochten werden können. Das Gesetz schießt allerdings über das Ziel hinaus, und erfasst auch Mängel bei der Ausgestaltung des Auskunftsrechts, was die Aktionärsrechte empfindlich einschränkt. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn dem Vorstand vorsätzlicher Handeln vorzuwerfen ist – der Nachweis wird allerdings kaum je zu führen sein.

    3. Weitere Einzelmaßnahmen

    Ergänzend zu den bisher geschilderten Maßnahmen sieht das Gesetz noch weitere punktuelle Erleichterungen zur Abhaltung der Hauptversammlung vor:

    • Die Einberufungsfrist für eine Hauptversammlung ist auf 21 Tage verkürzt.
    • Die ordentliche Hauptversammlung kann im gesamten Geschäftsjahr abgehalten werden, nicht nur innerhalb der ersten 8 Monate (gilt nicht für die SE).
    • Der Vorstand kann auch ohne Satzungsermächtigung eine Vorabdividende an die Aktionäre ausschütten.

    Alle diese Entscheidungen des Vorstands bedürfen der Zustimmung des Aufsichtsrats. Der Aufsichtsrat kann die notwendigen Beschlüsse auf elektronischem Wege fassen, auch wenn die Satzung oder die Geschäftsordnung dies nicht vorsieht. Es ist daher egal, ob ein Mitglied der Beschlussfassung außerhalb einer Präsenzsitzung widerspricht. Bislang fehlt eine Regelung zur Verkürzung der Einberufungsfrist für Aufsichtsratssitzungen; Gesellschaften sollten die Fristen in der Satzung oder Geschäftsordnung bei der Hauptversammlungs-Planung sicherheitshalber im Auge behalten, wenn sie eine Beschlussfassung per Video- oder Telefonkonferenz planen.

    4. Entsprechende Geltung für KGaA und SE

    Die Regelungen gelten entsprechend für die KGaA. Ähnliche Regelungen finden sich auch für die Gesellschafterversammlung der Genossenschaft und der Mitgliederversammlung des Vereins. Für die SE gelten die Regelungen zur AG ebenfalls weitgehend entsprechend; die SE muss ihre Hauptversammlung allerdings innerhalb der ersten 6 Monate des Geschäftsjahres abhalten. Der deutsche Gesetzgeber kann hier nichts Abweichendes regeln, da ihm die Gesetzgebungszuständigkeit fehlt.

    5. GmbH-Gesellschafterversammlungen

    Gesellschafter einer GmbH können nach dem Entwurf Beschlüsse außerhalb von Gesellschafterversammlungen fassen, auch ohne dass sämtliche Gesellschafter diesem Verfahren zustimmen.

    III. Weitere Änderungen

    Weitere Änderungen betreffen Vereine, Stiftungen, Genossenschaften und Wohnungseigentümergemeinschaften. So bleiben etwa die Vorstände von Vereinen und Stiftungen, die Vorstände und Aufsichtsratsmitglieder von Genossenschaften und die Verwalter von Wohnungseigentümergemeinschaften, sollte deren Bestellung im Jahr 2020 enden, dennoch bis zur Abberufung oder Bestellung eines Nachfolgers im Amt. Bei Wohnungseigentümergemeinschaften gilt der zuletzt beschlossene Wirtschaftsplan bis zum Beschluss eines neuen Wirtschaftsplans fort.

    IV. Wie lange gelten die neuen Vorschriften?

    Die neuen Vorschriften gelten nur für Haupt- und Gesellschafterversammlungen im Jahr 2020. Die Regelung zu den Vereins- und Stiftungsvorständen und Vorständen und Aufsichtratsmitgliedern von Genossenschaften gelten nur für im Jahr 2020 ablaufende Bestellungen und im Jahr 2020 stattfindende Mitgliederversammlungen von Vereinen. Allerdings ist das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz ermächtigt, die Regelungen durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrats höchstens bis zum 31. Dezember 2021 zu verlängern, wenn dies aufgrund fortbestehender Auswirkungen der COVID-19-Pandemie geboten erscheint. Die neuen Regelungen zum Wohnungseigentümerrecht gelten unbefristet.

    V. Offene Fragen / Probleme

    Dem Gesetz merkt man an, dass es mit der heißen Nadel gestrickt ist:

    Es fehlen vollständig Regelungen zu den Gesellschafterversammlungen bei den Personengesellschaften (insbesondere OHG und KG), obwohl sie den Großteil von Gesellschaften in Deutschland ausmachen. Auch diese Gesellschafterversammlungen können in Zeiten der COVID-19-Pandemie, wenn überhaupt, nur virtuell stattfinden. Im Bericht des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (Bundestags-Drucksache 19/18158) heißt es, die Regelungen zur virtuellen Hauptversammlung seien „in großem Maße analogiefähig“. Doch Gesetzesqualität hat diese Aussage nicht, sodass die Rechtslage unklar ist. Beschlüsse, die in einer virtuell durchgeführten Gesellschafterversammlung ohne Zustimmung aller Gesellschafter gefasst wurden, drohen alleine aus diesem Grund nichtig zu sein.

    Sehr problematisch ist auch die Regelung zu Auskunftsrechten der Aktionäre in der Hauptversammlung. Das Gesetz sieht vor, dass der Vorstand nach „pflichtgemäßem, freiem Ermessen“ entscheiden kann, ob und welche Fragen er wie beantworte. Nach der Gesetzesbegründung soll den Aktionären „kein Auskunftsrecht“ zustehen, sondern nur die „Möglichkeit, Fragen zu stellen“. Das Auskunftsrecht gem. § 131 AktG wird damit sehr weitgehend eingeschränkt, obgleich dies anerkanntermaßen ein Grundrecht der Aktionäre ist. Warum das Corona-Virus sich auf das verfassungsrechtlich anerkannte Auskunftsrecht auswirken soll, ist nicht erkennbar und wird in der Formulierungshilfe der Bundesregierung auch nicht begründet. Auch ist unklar, ob und wie Aktionäre Sach- bzw. Geschäftsordnungsanträge in der virtuellen Hauptversammlung stellen können. Eine gesetzliche Regelung entsprechend der Einreichung von Fragen sieht das Gesetz nicht vor.

    Auf diese und weitere Probleme haben unsere Partner Dr. Thomas Heidel und Dr. Daniel Lochner mit Schreiben vom 24. März 2020 den Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags hingewiesen:

    Formulierungshilfe der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie

    Falls Sie weitere Fragen haben, stehen wir Ihnen jederzeit zur Verfügung.

    Dr. Torben Illner / Dr. Moritz Beneke

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 4/20

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