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Anmeldung zum Musterfeststellungsverfahren kann rückwirkend die Verjährung entfallen lassen
In Massenverfahren zur Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen von Verbrauchern ist die Verjährung wegen der kurzen Regelverjährungsfrist von drei Jahren ab Erkennbarkeit des Schadens und des Schädigers oft ein wichtiges Thema. Dazu hat der BGH in seinem aktuellen Urteil vom 27.01.2022 – IV ZR 303/20 – eine wichtige Entscheidung getroffen.
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger hatte 2011 einen VW Golf als Neufahrzeug erworben. Dieser war mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet. Hierin war eine Motorsteuerungssoftware verbaut, durch die auf einem Prüfstand bessere Abgaswerte erzielt wurden als im realen Fahrzeugbetrieb. Im Herbst 2015 wurde der VW-Dieselskandal bekannt. Im Oktober 2019 erhob der Kläger Klage gegen VW im Wesentlichen auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung Zug-um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeuges. Hiergegen hat die Beklagte die Einrede der Verjährung erhoben. Der Kläger hatte behauptet, er habe sich im Dezember 2018 zu der am OLG Braunschweig geführten Musterfeststellungsklage an- und im September 2019 wieder abgemeldet. Einen Nachweis, dass seine Anmeldung zum Klageregister der Musterfeststellungsklage noch im Jahr 2018 erfolgt sei, konnte der Kläger aber nicht erbringen.
Das Landgericht hatte der Klage überwiegend stattgegeben. Demgegenüber hat das Oberlandesgericht sie auf Berufung der Beklagten abgewiesen. Zur Begründung hat das OLG ausgeführt, dass keine Hemmung der Verjährung vor Ablauf der dreijährigen Verjährungsfrist erfolgt sei, die nach § 199 Abs. 1 Satz 2 BGB mit Schluss des Jahres 2015 begonnen habe. Eine Anmeldung zum Klageregister erst nach Ablauf der Verjährungsfrist wirke nicht auf den Zeitpunkt der Erhebung der Musterfeststellungsklage zurück.
Auf die vom Berufungsgericht zugelassene Revision hat der BGH das Urteil des Berufungsgerichtes aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen. Es hat dabei ausgeführt, dass die Hemmungswirkung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB im Falle eines wirksam angemeldeten Anspruches grundsätzlich bereits mit Erhebung der Musterfeststellungsklage und nicht erst mit der wirksamen Anmeldung des Anspruches zur Eintragung in deren Register eintritt, auch wenn die Anspruchsanmeldung erst nach dem Ablauf der ursprünglichen Verjährungsfrist erfolge. Insoweit hat der BGH sein Urteil vom 29.07.2021 – VI ZR 1118/20 – bestätigt bzw. ist sogar noch darüber hinausgegangen. Darin hatte er ausgeführt, dass der Hemmungstatbestand des § 204 Abs. 1 Nr.1a BGB auch dann Anwendung finde, wenn der Gläubiger seine Anmeldung zum Klageregister im Laufe des Verfahrens über die Musterfeststellungsklage wieder zurücknimmt, um Individualklage zu erheben. Der Gesetzgeber habe die Möglichkeit der Abmeldung vom Klageregister bis zum Ablauf des Tages des Beginnes der mündlichen Verhandlung (§ 608 Abs. 3 ZPO) und die anschließende Geltendmachung der Ansprüche im Wege der Individualklage bewusst eingeräumt und für diesen Fall in § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB eine spezifische Regelung über eine nachlaufende Verjährungshemmung getroffen. Nutze der Gläubiger diese ihm vom Gesetz eingeräumte Möglichkeit, handele es sich nicht um einen Rechtsmissbrauch. In diesem früheren Fall war es aber unstreitig so gewesen, dass die erste Anmeldung zu der Musterfeststellungsklage von dem dortigen Kläger noch im Jahr 2018 und damit vor Ablauf der regulären Verjährungsfrist erfolgt war.
In dem jetzigen Fall war die Sache insofern nochmals zugespitzt, dass es nicht nur um die Frage einer zeitweiligen Hemmung der Verjährung durch zwischenzeitliches gerichtliches Betreiben der Forderung ging (was zu einer Verlängerung der Verjährungsfrist für diesen Hemmungszeitraum führt). Vielmehr ging es jetzt um die Frage, ob auch eine Forderungsanmeldung zu einer Musterfeststellungsklage erst nach Ablauf der regulären Verjährungsfrist (hier also nach Ablauf des 31.12.2018) noch als verjährungshemmende Maßnahme anerkannt werden kann, wenn nur die Musterfeststellungsklage selbst vor dem 31.12.2018 grundsätzlich anhängig gemacht worden war (was hier der Fall war).
Mit seinem Urteil habe der BGH dies nun bestätigt: Er räumt geschädigten Verbrauchern damit die Möglichkeit ein, seine Ansprüche im Rahmen einer während der Verjährungsfrist wirksame erhobenen Musterfeststellungsklage anzumelden, auch wenn die Verjährung in seinem individuellen Fall bereits abgelaufen war. Diese Wirkung kann auch erhalten bleiben (wenn die sonstigen Voraussetzungen erfüllt sind), wenn der Verbraucher sich zu einem späteren Zeitpunkt von der Musterfeststellungsklage wieder abgemeldet hat.
Damit hat der BGH einer späteren Anmeldung zu einer Musterfeststellungsklage eine rückwirkende Unterbrechung der Verjährung auf den Zeitpunkt der Einleitung der Musterfeststellungsklage beigemessen. Dies ist eine verfassungsrechtlich spannende Entscheidung, weil damit in möglicherweise geschützte Rechtsposition der Schuldner der Schadensersatzpflichten (hier: VW) eingegriffen werden könnte. Es bleibt abzuwarten, ob die Frage deshalb auch noch den Weg zum Bundesverfassungsgericht finden wird.
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