Newsletter
Besonderer Vertreter: ein weiterer Sieg für eine Aktiengesellschaft – und generell für gute Corporate Governance
Die Einsetzung unseres Sozius Thomas Heidel zum besonderen Vertreter waren mehrfach Gegenstand in unserem Newsletter. Die erstrittenen Entscheidungen bis hin zum BGH sind in der Literatur vielfach besprochen worden. Das Rechtsinstitut hat sich etabliert. Doch es ist gelegentlich auch Anlass für Anfeindungen. Nachdem nun zwei weitere von einem besonderen Vertreter begonnene Haftungsprozesse vor dem OLG Düsseldorf endeten, ist es Zeit, ein Zwischen-Fazit zu ziehen. Und dieses fällt aus Sicht der Gesellschaft positiv aus.
In unserem Newsletter 2/2021 haben wir eingehend über den Erfolg für die Aktiengesellschaft in dem Verfahren vor dem OLG Düsseldorf berichtet, welches der BGH in einer Zwischenentscheidung behandelt hatte und das Gegenstand von bald einem Dutzend von Besprechungen in der Literatur war. In diesem Verfahren hat das OLG Düsseldorf der AG im November 2020 Schadensersatz in Millionenhöhe zugesprochen. Das dortige Verfahren ist noch nicht rechtskräftig abgeschlossen; denn der ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende versucht nun zum zweiten Mal, das Blatt beim BGH zu seinen Gunsten zu wenden, was ihm beim ersten Versuch misslang. Rechtskräftig abgeschlossen ist ein paralleler Prozess auf Schadensersatz gegen den ehemaligen Aufsichtsratsvorsitzenden, der sich außerdem gegen einen ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der Gesellschaft richtet. Das LG Duisburg hatte die beiden Beklagten erstinstanzlich zu Schadensersatz in Höhe von ca. 1,0 Mio. € bzw. 1,4 Mio. € verurteilt – zuzüglichen Kosten und Zinsen seit ca. einem halben Jahrzehnt (vgl. Newsletter 5/2019). Diese Verurteilung ist nun rechtskräftig. Die beklagten ehemaligen Organmitglieder hatten zwar jeweils Berufung gegen die erstinstanzliche Entscheidung eingelegt. Das OLG Düsseldorf teilte im Ergebnis jedoch vollständig die Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts. In der mündlichen Verhandlung ließ es keinen Zweifel daran, dass die Berufungen keine Aussicht auf Erfolg haben würden. Die beklagten Ex-Organmitglieder haben in der Folge ihre Berufungen zurückgenommen. Daher sind die erstinstanzlichen Verurteilungen der Beklagten nun rechtskräftig.
Worin ging es in diesem Prozess (Az. LG Duisburg, Urteil vom 29. April 2019, Az. 25 O 20/15; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Oktober 2020, Az. I-17 U 111/19)? Die beiden Beklagten waren während ihrer Amtszeit als Aufsichtsratsvorsitzender und Hauptaktionär der Aktiengesellschaft bzw. als deren Vorstandsvorsitzender maßgeblich an einer fortlaufend insolvenzreifen GmbH beteiligt. Diese Beteiligungen hatten sie weder gegenüber der Easy Software AG und deren weiteren Organmitgliedern noch dem Abschlussprüfer offengelegt. Die Beklagten wollten diese GmbH mit Mitteln der Aktiengesellschaft finanziell unterstützten. Dazu kamen sie überein, dass die Aktiengesellschaft Vorauszahlungen an diese GmbH erbringen sollte – und zwar für von ihr noch zu erbringende Dienstleistungen (Softwareentwicklung). Diese Leistungen erbrachte die GmbH aber nicht. Der Vorstandsvorsitzende ließ sich von diesen Vorauszahlungen durch die Geschäftsführer der GmbH Teile in bar auszahlen. Die GmbH wurde insolvent. Den Vorauszahlungen in siebenstelliger Höhe standen keine verwertbaren Arbeitsergebnisse gegenüber. Der Vorstandsvorsitzende wurde wegen Untreue zu einer Haftstrafe von 3,5 Jahren verurteilt.
Aus gesellschaftsrechtlicher Sicht ist insbesondere die Verurteilung des ehemaligen Aufsichtsratsvorsitzenden interessant, der gleichzeitig Hauptaktionär der Aktiengesellschaft war. Das OLG Düsseldorf machte in der mündlichen Verhandlung deutlich, dass er in beiden Funktionen hafte: Aufgrund seiner Stellung als beherrschender Aktionär müsse er für die von ihm veranlassten Nachteile (die Zahlungen ohne Gegenleistungen an „seine“ GmbH) einstehen (§§ 311, 317 Aktiengesetz, AktG), und er hafte parallel auch aufgrund der Pflichtverletzung als Aufsichtsratsmitglied (§§ 93, 116 AktG), da er nämlich ungesicherte Vorauszahlungen der Aktiengesellschaft an die GmbH nicht unterbunden habe. Letzteres war von der ersten Instanz mangels Relevanz nicht vertieft worden. Das OLG Düsseldorf bejahte die Organhaftung mit Recht gerade wegen der unterlassenen Offenlegung der Beteiligung an der GmbH und des darin liegenden Interessenkonflikts. Besonders bemerkenswert ist die Haftung wegen der Nachteilszufügung nach § 317 AktG. Dieser konzernrechtliche Haftungstatbestand hat in der Gerichtspraxis bisher keine große Rolle gespielt, obwohl sein Tatbestand eine sehr häufig auftretende Situation erfasst. Dass die Geltendmachung von Konzernhaftung im Vergleich zu den tatsächlichen Fällen der Nachteilszufügung durch herrschende Unternehmen so selten (mit anderen Worten: die Dunkelziffer mutmaßlich sehr hoch ist), wird regelmäßig daran liegen, dass das Verhältnis zwischen dem herrschenden Aktionär und der beherrschten Gesellschaft nicht öffentlich und daher die Beeinflussung für außenstehende Aktionäre regelmäßig nicht erkennbar ist. Die Rechtsprechung begegnet diesem Problem in der Theorie durch weitrechende Beweiserleichterungen. Die Bedeutung dieser Haftungsnorm wird aber in der Praxis regelmäßig dadurch reduziert, dass die Organmitglieder der beherrschten Gesellschaft als Anspruchsinhaberin regelmäßig kein Interesse haben, deren herrschenden Aktionär zu verklagen. Zwar kann auch jeder einzelne Aktionär nach § 317 Abs. 4 i.V.m. § 309 Abs. 4 S. 1 AktG den Anspruch geltend machen. Jedoch ist das damit verbundene Kostenrisiko und die fehlende Kenntnis vom Verhältnis zwischen Hauptaktionär und Gesellschaft oft prohibitiv. Dieses Dilemma kann die Bestellung eines besonderen Vertreters lösen, da dieser verpflichtet und berechtigt ist, im Namen der Gesellschaft die Anspruchsvoraussetzungen aufzuklären und den Anspruch gegebenenfalls durchzusetzen. Inzwischen hat der BGH in einem von unserer Sozietät betreuten Verfahren geklärt, dass der besondere Vertreter diese Ansprüche geltend machen kann (vgl. Newsletter 3/2021). Für die außenstehenden Aktionäre ist dies u.E. der effektivste und kostengünstigste Weg, um etwaige Ansprüche gegen einen herrschenden Aktionär aufzuklären und durchzusetzen.
Gemäß § 317 Abs. 1 Akt hat der beherrschende Aktionär, der veranlasst, dass der von ihm beherrschten Gesellschaft ein Nachteil zugefügt wird, diesen Nachteil auszugleichen. Die Frage der Beherrschung bemisst sich nach den §§ 17 ff. AktG. Mehrheitsbeteiligungen oder konstante Mehrheiten auf einer Hauptversammlung sind ausreichend. Im konkreten Fall hatte der Aufsichtsratsvorsitzende zwar nicht die Aktienmehrheit, er konnte sich aber auf seine langjährige Hauptversammlungsmehrheit verlassen. Hierdurch konnte er auch maßgeblichen Einfluss auf die Organbesetzung nehmen. Der Nachteil lag in den fortlaufenden ungesicherten Vorauszahlungen an die GmbH. Problematisch war die Frage der Veranlassung eines Nachteils zu Lasten der Aktiengesellschaft. Um Beweisschwierigkeiten aus dem regelmäßig nicht öffentlich bekannten Verhältnis zwischen Gesellschaft und beherrschendem Aktionär entgegenzutreten, ist allgemein anerkannt, dass für den Nachweis der Veranlassung Beweiserleichterungen greifen. Einzelheiten hierzu sind umstritten und vom BGH noch nicht geklärt. Er hat nur grundsätzlich Beweiserleichterungen für diesen Fall anerkannt. Wie der aktuelle Fall zeigt, sind Beweiserleichterungen nicht nur dringlich, wenn Minderheitsaktionäre Konzernhaftungsansprüche geltend machen. Auch die Aktiengesellschaft kann Schwierigkeiten haben, konkrete Abläufe zu belegen, wenn wie im vorliegenden Fall (ehemaliger) Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzender sowie Mehrheitsaktionär Hand in Hand arbeiten; über nachteilige Veranlassungen wird man typischerweise keine Protokolle anfertigen, die Ross und Reiter nennen. In der Literatur wird die Beweiserleichterung auf die Abhängigkeit und teilweise zusätzlich auf den dem herrschenden Aktionär erwachsenen Vorteil gestützt. Auch das OLG Düsseldorf hat in seinen mündlichen Erläuterungen Beweiserleichterungen grundsätzlich bejaht, hierzu aber weitere tatsächliche Anknüpfungspunkte in der Person des beherrschenden Aktionärs herangezogen. Es gab nämlich mehrere unstreitige Umstände, die zumindest nahelegten, dass der herrschende Aktionär Kenntnis von den Vorauszahlungen und deren Risken für die Aktiengesellschaft hatte. Auch das OLG Düsseldorf stellt also tendenziell niedrige Anforderungen an die Voraussetzungen für die Beweiserleichterung. Greift die Beweiserleichterung ein, dann muss der herrschende Aktionär die Veranlassung der Nachteilszufügung widerlegen bzw. die Grundlagen der Beweiserleichterung erschüttern. Diese Widerlegung gelang dem beklagten Hauptaktionär nicht.
Das zeigt einmal mehr: Die Qualität des jeweiligen Vortrags ist häufig streitentscheidend, da die Voraussetzungen für Eingreifen und Widerlegung der Beweiserleichterung noch nicht abschließend geklärt sind. Im Ergebnis bestätigt dieses Praxisbeispiel einmal mehr, dass der besondere Vertreter regelmäßig ein probates Mittel ist, um Organhaftungsansprüche und insbesondere Ansprüche aufgrund der Beherrschung aufzuklären und durchzusetzen. Insoweit liegt es auf der Linie des BGH, der im Juni 2020 die Geltendmachung von konzernrechtlichen Ansprüchen durch besondere Vertreter bejahte und damit das Institut des besonderen Vertreters nochmals stärkte (vgl. Newsletter 3/2021). Anderslautenden Literaturstimmen ist mit diesen Entscheidungen durch die Rechtsprechung eine deutliche Absage erteilt worden. Diese hatten fälschlicherweise und voreilig gerade auch die Bestellung eines besonderen Vertreters in dem hier besprochenen Fall als Beleg für ihre Kritik am Institut des besonderen Vertreters herangezogen. Der erfolgreiche Ausgang der Haftungsprozesse bei dieser Gesellschaft widerlegt solche Behauptungen eindrucksvoll. Die Bestellung des besonderen Vertreters war hier in mehrfacher Hinsicht erfolgreich. Wirtschaftlich übersteigen die durchgesetzten Schadensersatzansprüche die Kosten für die Geltendmachung bei weitem. Auch hat die Bestellung des besonderen Vertreters und die Aufklärung früherer Geschäftsvorfälle zu einer verbesserten Sensibilität gegenüber Compliance-Themen geführt. Die zuvor bestehende Stellung des Hauptaktionärs und Aufsichtsratsvorsitzenden als graue Eminenz hatte dazu geführt, dass es jahrelang keine ordnungsgemäße Kontrolle in der Gesellschaft gab, was in den Urteilen ausgeführt wird. Vielmehr wurden die Interessen der Gesellschaft und die der Minderheitsaktionäre den Interessen des beherrschenden Aktionärs untergeordnet. Dieser Zustand konnte erst aufgebrochen werden, als die Hauptversammlung die Geltendmachung von Ersatzansprüchen beschloss und einen besonderen Vertreter zu deren Geltendmachung bestellte – und zwar gegen die Stimmen des herrschenden Aktionärs, der dabei einem Stimmverbot unterlag.
In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 5/21
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