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BGH-Kartellsenat entscheidet äußerst kontroverse gesellschaftsrechtliche Frage
Gespannte Blicke der Gesellschaftsrechtler richten sich auf den Kartellsenat des BGH: Am 11. Februar 2025 verhandelt er über die Frage, ob Unternehmen, gegen die ein Bußgeld wegen eines Kartellrechtsverstoßes verhängt worden ist, ihre Geschäftsführer bzw. Vorstandsmitglieder deswegen in Regress nehmen können. Die Frage wird seit Jahrzehnten unter Juristen sehr streitig diskutiert. Es gibt eine Unzahl an divergierenden Gerichtsentscheidungen und Äußerungen in der juristischen Literatur. Dabei stehen sich zwei Auffassungen geradezu unversöhnlich gegenüber: Nach der einen ist es selbstverständlich, dass Geschäftsleiter für aufgrund ihres Fehlverhaltens verhängte Kartellbußen ihrem Unternehmen Schadensersatz leisten müssen; denn die von ihnen verantworteten Bußgelder sind regelmäßig ein Vermögensschaden, für den Geschäftsleiter nach allgemeinen Grundsätzen Ersatz leisten müssen. Die andere Auffassung lehnt die Sicht kategorisch ab: Sie befürchtet den Verlust der Sanktionswirkung der Kartellbußen, wenn Unternehmen sich die Bußgelder von ihren Geschäftsleitern und damit typischerweise von den D&O-Versicherungen „zurückholen“ könnten.
Worum geht es in dem Fall?
Die öffentliche Verhandlung des Kartellsenats (Aktenzeichen KZR 74/23) betrifft einen Fall, den das Oberlandesgericht Düsseldorf am 27. Juli 2023 entschieden hatte, Az. 6 U 1/22 (Kart). Es klagt eine GmbH (Klägerin zu 1.) gegen ihren Geschäftsführer und gleichzeitig deren Konzernmutter (eine AG, Klägerin zu 2.) gegen den Beklagten, der auch ihr Vorstandsvorsitzender war, auf Ersatz der gegen sie verhängten Geldbuße und der zu ihrer Abwehr aufgewendeten Kosten. GmbH und AG sind Teil einer in der Edelstahlproduktion tätigen Unternehmensgruppe. Der Beklagte beteiligte sich von 2002 bis 2015 an einem Preiskartell unter Unternehmen der Stahlindustrie, auch bekannt unter dem Schlagwort „Edelstahl-Kartell“ die Kartellbeteiligten vereinbarten ein branchenweit einheitliches Preissystem und stimmten Schrott- und Legierungszuschläge ab. Das Bundeskartellamt hatte gegen die GmbH eine ahndende Unternehmensbuße von gut € 4 Mio. und gegen den Beklagten eine Individualgeldbuße von gut € 100.000 verhängt. Die Klägerinnen verlangen vom Beklagten insb. die Erstattung des gegen die GmbH verhängten und bezahlten Bußgelds sowie Ersatz für der AG zur Abwehr des Bußgelds entstandene Kosten. Sie machen geltend, der Beklagte habe durch seine Beteiligung an den Kartellabsprachen seine Pflichten als Geschäftsführer und Vorstandsmitglied verletzt.
Das Landgericht Düsseldorf (Urteil vom 10. Dezember 2021 - 37 O 66/20 [Kart]) - hatte die Klagen auf Erstattung des Bußgelds und der Kosten abgewiesen. Die Berufungen der Klägerinnen blieben erfolglos. Das Oberlandesgericht meinte nämlich, die gesellschaftsrechtlichen Vorschriften, wonach Geschäftsleiter, die ihre Pflichten verletzen, der Gesellschaft den daraus entstehenden Schaden ersetzen müssen (§ 93 Aktiengesetz und § 43 GmbH-Gesetz) erstreckten sich nicht auf Schäden, die der Gesellschaft wegen gegen sie verhängter Kartellbußgelder entstehen: Könnte die Gesellschaft bei ihrem Leitungsorgan Regress nehmen, würde der Zweck des Kartellbußgelds vereitelt, meinte das Oberlandesgericht; die Unternehmensgeldbuße solle gerade das Vermögen der Gesellschaft nachhaltig treffen; daher brauche der Beklagte auch keine Kosten der Gesellschaft zur Abwehr des Bußgelds zu ersetzen. Die Klägerinnen verfolgen mit ihren Revisionen die Zahlungsanträge weiter.
Keine Rolle spielt im BGH-Fall, ob Gesellschaften ihre Geschäftsleiter auf den sog. Abschöpfungsteil des Bußgeldes in Regress nehmen können. Das verneint die herrschende Meinung – mE mit gutem Grund: Mit der Abschöpfung wird lediglich der rechtswidrig durch die Pflichtverletzung, der durch den Kartellverstoß erlangte rechtwidrige Vorteil des Unternehmens einkassiert. Könnte man das auf die Geschäftsleiter abwälzen, profitiere das Unternehmen von dem Kartellverstoß. Es stände nämlich durch einen vom Geschäftsleiter zu leistenden Schadensersatz so, als wäre das rechtswidrige und daher mit Gewinnabschöpfung bebußte Verhalten doch wirksam, das Unternehmen stünde also besser als ohne das rechtswidrige Kartellverhalten. Solches anzunehmen widerspräche dem schadensersatzrechtlichen Bereicherungsverbot.
Was ist vom BGH zu erwarten?
Wie sich der Kartellsenat zu der Sache stellen wird, erscheint völlig offen. Nicht auszuschließen ist, dass es ihm wie schon dem Oberlandesgericht in erster Linie um die Effektivität der Kartellbußen gehen wird:
Die Antwort auf den Aspekt der Effektivität mag man sehen können wie das Oberlandesgericht. Das hat wesentliche Stimmen im Kartellrecht auf seiner Seite. Zuletzt konnte man aus der Feder von Prof. Dr. Florian Wagner-von Papp in der Fachzeitschrift WuW (2025, Seite 1) lesen, die Entscheidung des BGH habe das „Potenzial, das Kartellsanktionsrecht aus den Angeln zu heben“: Könnten Unternehmen ihre Unternehmensgeldbuße auf ihre Geschäftsleiter abwälzen, die den Betrag von der für sie abgeschlossenen D&O-Versicherung ersetzt verlangen können, würde die Unternehmensgeldbuße „durch Heranziehung der Versichertengemeinschaft sozialisiert“, weder Unternehmen noch Geschäftsleiter würden abgeschreckt und die Zahl von Kartellen zunehmen, Kartellgeldbußen würden „fast vollständig wirkungslos“.
Dem kann man aber Gewichtiges entgegenhalten: Wie sonst Strafen dienen Kartellbußgelder zweierlei Zwecken. Zum einen der wirksamen Verfolgung von Kartellverstößen und zum anderen der Prävention zur Verhinderung von Kartellrechtsverstößen; Kartellbußen sollen bestrafen und abschrecken. Wenn Geschäftsleiter wissen, dass sie persönlich für die gegen ihr Unternehmen verhängte Kartellbuße haften, wird die Abschreckungswirkung auf Geschäftsleiter noch erheblich vergrößert und wird tendenziell auf sie heilsamen Druck ausüben, von Kartellrechtsverstößen die Finger zu lassen. Verneint man hingegen den Regress, schädigte man nur die Aktionäre als die wirtschaftlichen Eigentümer des Unternehmens. Das wäre aber unbillig. Denn diese können nicht wirksam verhindern, dass Leitungsorgane Kartellverstöße begehen; über solche Verstöße wird nicht vorher berichtet; es zeichnet Kartellbeteiligte gerade aus, dass sie ihr Kartell verdecken. Gesellschafter haben nach dem Prinzip der Legalitätspflicht der Verwaltung einen Anspruch auf nur rechtmäßiges Verwaltungshandeln. Bei schuldhafter Verletzung der Pflichten haften die Geschäftsleiter der Gesellschaft. Gäbe es keinen solchen Regress, müssten die Gesellschafter als wirtschaftliche Inhaber der Unternehmen die Vermögensschäden eines schuldhaften Fehlverhaltens der Geschäftsleiter allein tragen, welches sie nicht verhindern und von dem sie nichts wissen können. Sie wären die Opfer von Kartellverstößen des Managements und müssten deren Fehlverhalten ausbaden. Nicht überzeugen kann auch das gelegentlich gehörte Argument, Geschäftsleiter würden schon genug dadurch präventiv zu kartellrechts-konformem Verhalten angehalten, dass sie persönlich Bußgelder verwirken können. Das europäische Kartellrecht sieht keine Bußgelder unmittelbar gegen Vertretungsorgane vor. Auf den zufälligen Umstand, ob ein Handeln gegen nationales oder europäisches Kartellrecht verstößt, wird man daher bei der Beantwortung der Frage, ob der Bußgeldregress möglich ist, nicht abstellen können. Gerade die europäische Rechtslage, dass es keine Kartellbuße unmittelbar gegen die beteiligten Organmitglieder gibt, zeigt im Übrigen, wie wichtig das persönliche Schadensersatzrisiko der Organe zur effektiven Durchsetzung der Kartellverbote ist. Gegen die Erwägung der „Sozialisierung der Haftung“ durch D&O lässt sich einwenden, dass das Gesellschaftsrecht ausdrücklich die Möglichkeit solcher Versicherungen zulässt (vgl. den § 93 Absatz 2 Satz 3 Aktiengesetz, der einen Selbstbehalt vorschreibt); die D&O dient dem Vermögensschutz der Unternehmen, da häufig nur über diese Schadensersatzforderungen gegen Geschäftsleiter wirtschaftlich durchsetzbar sind. Sie sind daher keine geeignete Begründung, einen Geschäftsleiterregress in dem Einzelfall der Kartellbußen auszuschließen.
Kaum vorstellbar ist, dass gerade der Kartellsenat eine (mitunter in der Literatur favorisierte) Unterscheidung einführen könnte, ob die Haftung der Geschäftsleiter der Höhe nach begrenzt ist oder unterschieden werden kann nach Vorsatz / (grober) Fahrlässigkeit. Der Gesetzeswortlaut ist eindeutig; es gibt keine Haftungsbegrenzung der Höhe nach, und das Gesetz begünstigt nicht bloß fahrlässig handelnde Geschäftsleiter. Da heißt es (mit leichten Nuancen) in den Gesetzen: Geschäftsleiter müssen die „Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“ anwenden; wenn sie „ihre Pflichten verletzen“, sind sie der Gesellschaft zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Wollte man das oder das Fehlen einer Höchstgrenze für verfassungswidrig halten, müsste man die Rechtsfrage dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorlegen. Organmitglieder müssen aufgrund ihrer Sorgfaltspflicht wissen: Wenn sie sehenden Auges Kartellverstöße begehen, drohen hohe Bußen, für die sie persönlich haften, selbst wenn das ihre persönliche Leistungsgrenze überschreitet. Die Möglichkeit der Organhaftung dient dem Vermögensschutz der Gesellschaft und ihrer Gesellschafter. Begrenzungen der Ersatzpflicht bei Schädigung der Höhe oder dem Verschuldensmaßstab nach kann nur der Gesetzgeber einführen, nicht aber der BGH.
In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 1/25
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