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BGH: Virtuelle Versammlungen nur bei effektiver Teilnahmemöglichkeit der Anteilseigner – Gesetzgeber verlängert Geltung des COVMG bis Ende August 2022
Die gleich zu Beginn der ersten COVID-Welle angeordneten weitreichenden Kontaktbeschränkungen gefährdeten die Handlungsfähigkeit vieler Gesellschaften, die auf eine Beschlussfassung in einer physischen Veranstaltung angewiesen waren – wie etwa die Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft. Darauf reagierte der Gesetzgeber, indem er im COVMG Erleichterungen für die Durchführung von Versammlungen und insbesondere die Möglichkeit von virtuellen Versammlungen vorsah. Dem Beschluss des BGH (05.10.2021, Az. II ZB 7/21) lag eine Beschwerde einer Genossenschaft gegen eine Entscheidung des OLG Karlsruhe zugrunde. Diese hatte sich im Oktober 2020 mit einer anderen Gesellschaft verschmolzen und begehrte die für die Wirksamkeit der Maßnahme erforderliche Eintragung der Verschmelzung im Genossenschaftsregister. Der Verschmelzungsbeschluss war in einer virtuellen (Vertreter-) Versammlung gefasst worden (§ 43a GenG). Das OLG lehnte die Eintragung ab. Eine virtuelle Veranstaltung sei nun mal keine „Versammlung“.
Dem tritt der BGH dezidiert entgegen. Versammlung bedeute nicht zwingend ein physisches Zusammentreffen. Virtuell genüge, wenn diese Art der Entscheidung nach Gesetz oder Satzung für die jeweilige Gesellschaftsform zulässig sei und eine im Vergleich zur Präsenzversammlung gleichwertige Information und Meinungsbildung erreichte. Nach dem BGH wollte der Gesetzgeber keine Beschränkung auf eine bestimmte Versammlungsform, vielmehr sollte das Gesetz im Hinblick auf die technologische Entwicklung offen bleiben. Lediglich eine rein schriftliche Beschlussfassung habe der Gesetzgeber verhindern wollen. Der Gesetzeswortlaut „Versammlung“ ist für den BGH nicht eindeutig; zwar sei das in erster Linie eine präsente Begegnung; in der modernen Informationsgesellschaft sei aber auch eine Erweiterung des Begriffes möglich. Für diese spreche auch die Funktion der Versammlung: die Gewährleistung der Information der Anteilseigner und Diskussion unter ihnen sowie ihre gründliche und gemeinsame Meinungsbildung. Dieser Zweck sei mit den heute bestehenden Möglichkeiten der Kommunikation beispielsweise über Telefon oder Video ebenso zu erreichen wie mit einer physischen Zusammenkunft, wenn die konkrete Ausgestaltung der Kommunikation eine vergleichbare Teilnahme der Anteilsinhaber und Durchführung der Versammlung wie bei einem physischen Treffen ermögliche. Der BGH meint, auch der Gesetzgeber sei von der Möglichkeit virtueller Versammlungen bei Verschmelzungsbeschlüssen ausgegangen. Auch die notarielle Beurkundung stehe einer virtuellen Versammlung nicht entgegen; es genüge, dass sich der Notar beim Versammlungsleiter aufhalte, sich über den ordnungsgemäßen Ablauf versichere und dann die Feststellung des Verschmelzungsbeschlusses beurkunde.
Der BGH schafft wichtige Klarheit. Er betont mit allem Recht den Zweck des Versammlungserfordernisses, neben der Information der Inhaber deren Diskussion sowie ihre gründliche und gemeinsame Meinungsbildung zu gewährleisten. Ob im entschiedenen Fall dieser Zweck tatsächlich gesichert war, konnte der BGH den Entscheidungen der Vorinstanzen nicht entnehmen. Er verwies die Sache daher zur weiteren Sachaufklärung an das OLG zurück, die nun klären müssen, ob tatsächlich die Mitgliedsrechte gewahrt waren, insb. das Teilnahmerecht durch die Möglichkeit zum Austausch mit den Organen und anderen Anteilsinhabern. Bei der typischen Ausgestaltung von virtuellen Hauptversammlungen ist gerade das nicht gewährleistet. Damit gibt der BGH einen wichtigen Fingerzeig für die künftige Anwendung der Normen zur virtuellen Hauptversammlung: Diese müssen Diskussion und gemeinsame Meinungsbildung ermöglichen. Das geht nicht mit einer Ein-Weg-Kommunikation.
Zurückhaltung in Anwendung und Auslegung der Normen zur virtuellen Versammlung gebietet auch der gesetzgeberische Wille, der zuletzt bei der aktuellen Verlängerung der COVMG-Regeln zum Ausdruck kam (§ 7 COVMG, Gesetz v. 10.9.2021, BGBl. I S. 4147; interessanterweise beruhend auf einem Beschlussvorschlag des Haushaltsausschusses, BT-Drucksache 19/32275). In der Gesetzesbegründung heißt es, Gesellschaften sollten das Instrument der virtuellen Hauptversammlung nur im Einzelfall und nur dann einsetzen, „wenn dies unter Berücksichtigung des konkreten Pandemiegeschehens und im Hinblick auf die Teilnehmerzahl der jeweiligen Versammlung erforderlich erscheint“.
Dr. Thomas Heidel / WissMit. Faris Schäfer
In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 12/21
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