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Bundestag gegen Justizministerium: etwas mehr Aktionärsrechte in virtueller Hauptversammlung
Mit einem Coup des Bundestags endet das Corona-geplagte Jahr 2020: Er stellte sich gegen die bloße Verlängerung der Regeln zur virtuellen Hauptversammlung bis Ende 2021, die das Justizministerium in einer Verordnung im Oktober schon angeordnet hatte. Gesetz ist nun, dass die Aktionäre nicht bloß eine unverbindliche Fragemöglichkeit in Hauptversammlungen haben, sondern ihr Fragerecht garantiert ist. Der Vorstand muss die gestellten Fragen grundsätzlich beantworten. Auch das Antragsrecht der Aktionäre in virtuellen Hauptversammlungen ist gestärkt.
In einer Hau-Ruck-Aktion hatte der Gesetzgeber im März virtuelle Hauptversammlungen ermöglicht (vgl. Newsletter 4/20), doch dabei Aktionärsrechte massiv beschritten – begründet mit den Corona-bedingten Beschränkungen der Versammlungsmöglichkeit. Es gab den Vorwurf, der Gesetzgeber nutze die Pandemie als bloßen Vorwand, etablierte zentrale Aktionärsrechte wie das Fragerecht weit über Gebühr auszuhebeln. Manch einer sah die Beschränkung der Rechte schon als Blaupause für künftige Einschränkungen von Aktionärsrechten nach Corona. Kritik hieran war selten. Das Maßnahmenpaket zur virtuellen Hauptversammlung fand etwa bei der Jahrestagung der VGR (Vereinigung für Gesellschafsrecht, einer der angesehensten gesellschaftsrechtlichen Vereine) noch im November fast einhellige Zustimmung; nur der Autor erhob damals Widerspruch gegen die Beschränkung der Aktionärsrechte. In der Politik regte sich gegenüber den Mainstream der Gesellschaftsrechtler nachhaltiger Widerspruch: Der Kölner Bundestagsabgeordnete und amtierende Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestags, Prof. Dr. Heribert Hirte, kritisierte in einer Presseerklärung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion mit Recht: In virtuellen Hauptversammlungen würden Aktionärsrechte „vielerorts“ nur unzureichend berücksichtigt: Extrembeispiele seien ein Warnsignal; Mitbestimmung, Teilhabe und Fragerecht der Aktionäre als den eigentlichen Eigentümern der Aktiengesellschaften seien grundlegend zu wahren; der Wirecard-Skandal zeige, wohin unzureichende Corporate Governance führe; das schwäche den Kapitalmarktstandort Deutschland. Doch solche Kritik ließ das Bundesjustizministerium scheinbar unberührt. Es verlängerte im Oktober das Corona-Gesetz (Bundesgesetzblatt 2020 I, 2258).
Der Justizausschuss des Bundestags fand sich damit nicht ab. Recht versteckt und öffentlich kaum bemerkt, kam seine Beschlussempfehlung am 15.12.2020 daher im Artikel 11 aus Anlass seiner Befassung mit dem Gesetzentwurf zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens, soweit ersichtlich ohne vorherige Vorbereitung durch Gesetzentwürfe (BT-Drucksache 19/25251 S. 23, Bericht BT-Drucksache 19/25322 S. 21 ff). Bundestag und Bundesrat haben der Novelle bereits am 17./18.12.2020 zugestimmt. Mit der Verkündung des Gesetzes und der Veröffentlichung im Bundesanzeiger rechnet man noch im Dezember 2020. Das Gesetz sieht eine Übergangsfrist von zwei Monaten vor. Hauptversammlungen ab März 2021 müssen daher das neue Regime beachten.
Worin liegen die Änderungen? Das ursprüngliche Corona-Gesetz aus dem März (BGBl 2020 I, S. 556, vgl. dazu Hirte/Heidel, Das neue Aktienrecht, dazu Newsletter 7/2020) hatte nach seinem Wortlaut vorgesehen, dass Aktionären in der virtuellen Hauptversammlung bloß eine „Fragemöglichkeit“ zusteht. Die Begründung des Gesetzes war vielfach so verstanden worden, dass die „Möglichkeit“ der Frage kein Recht auf Antwort umfasst – eine Pervertierung des Grundsatzes, dass die Aktionäre als Eigentümer des Unternehmens die Möglichkeit zu informierter Entscheidung haben müssen. Der Gesetzgeber hat nun das Wort „Fragemöglichkeit“ ersetzt durch den Begriff „Fragerecht“. Schon dadurch stellt er klar, dass von einer bloßen unverbindlichen Möglichkeit, Fragen zu stellen, keine Rede mehr sein kann. Ein Recht zu fragen gibt auch einen Anspruch auf Antworten. Auch das war nach dem Gesetz aus dem März zweifelhaft. Denn der Corona-Gesetzgeber hatte damals dem Vorstand die Ermessenentscheidung überlassen, „welche Fragen er wie beantwortet“. Daraus schlossen manche Interpreten des Gesetzes, dass es nach dem Corona-Gesetz in der virtuellen Hauptversammlung keine Pflicht gibt, alle zur Tagesordnung gehörenden Fragen zu beantworten; der Vorstand könne auch Antworten auf zur Beurteilung der Tagesordnung wesentliche Fragen schlicht unter den Tisch fallen lassen, meinte manch einer. Solche schon immer fragwürdigen Interpretationen sind nun definitiv vom Tisch. Nun hat der Vorstand nur noch Ermessen darüber, „wie“ er Fragen beantwortet. Er muss aber grundsätzlich alle Fragen beantworten, die zur Beurteilung des Gegenstands der Tagesordnung erforderlich sind. In der bisherigen Rechtsprechung zum ursprünglichen Corona-Gesetz ist noch nicht entschieden, ob nicht auch nach dem bisherigen Rechtszustand die Aktionäre einen Anspruch auf Antworten zu Auskunftsverlangen haben, die zur Beurteilung der Tagesordnung erforderlich sind. Alles andere verstieße mE gegen den verfassungs- und europarechtlichen fundierten Anspruch auf Auskunft in Hauptversammlungen. Mit Recht wird das Informationsrecht als zentrales „Aktionärsgrundrecht“ bezeichnet. Ob der Gesetzgeber das in seiner Novelle wirklich verstanden hat, ist allerdings fraglich: Denn im Bericht des Justizausschusses heißt es, dass das von ihm nun normierte Fragerecht nicht dem Auskunftsrecht des § 131 AktG gleichstehe, „da weiterhin ein Ermessen des Vorstands insoweit besteht, als dass er Fragen und deren Beantwortung zusammenfassen kann, wenn ihm dies sinnvoll erscheint“. Die Möglichkeit zusammengefasster Beantwortung ändert aber nichts an dem Grundprinzip, all das auf Fragen an Informationen geben zu müssen, was zur Beurteilung eines Tagesordnungspunkts erforderlich ist. Der Vorstand kann entscheiden, ob er auf z.B. fünf von verschiedenen Aktionären gestellte ähnliche Fragen jeweils separat antwortet, oder ob er das in einer Antwort bündelt; er darf aber keinen Aspekt auslassen, nach dem er gefragt wurde, wenn er zur Tagesordnung gehört.
Ein weiterer Fortschritt der neuen Regelung liegt aus Aktionärssicht darin, dass künftig Fragen auch noch am Tag vor der Hauptversammlung eingereicht werden können – nicht, wie es nach dem ursprünglichen Corona-Gesetz möglich war, spätestens zwei Tage vor der Hauptversammlung.
Schließlich stellt der Gesetzgeber ein weiteres Minimum von Aktionärsrechten klar, das aber manch ein Interpret seines ursprünglichen Gesetzes in Zweifel gezogen hatte: Auch in virtuellen Hauptversammlungen haben Aktionäre ein Antragsrecht. Grundsätzlich ist es in regulärem nicht-virtuellen Hauptversammlungen erforderlich, Anträge und Wahlvorschläge in der Hauptversammlung zu stellen; vorige bloße Ankündigungen genügen nicht. Das aber ist anders in virtuellen Hauptversammlungen, die die Gesellschaften typischerweise aktionärsunfreundlich nicht als Zwei-Wege-Kommunikation ausgestalten, was ihnen der Corona-Gesetzgeber ermöglicht: Die Aktionäre sind typischerweise nur Zuhörer. Anträge in der Hauptversammlung zu stellen ist daher technisch nicht möglich. Der Gesetzgeber hat zwar versäumt, nach ausländischem Vorbild (Österreich, Schweiz) virtuelle Hauptversammlungen mit echter Kommunikationsmöglichkeit vorzusehen, obgleich es dazu ohne Weiteres technisch gut funktionierende Möglichkeiten gäbe. Das neue Gesetz garantiert nun aber wenigstens ein Minimum der Befugnis der Aktionäre zur Antragstellung: Ihre Anträge und Wahlvorschläge gelten als in der Hauptversammlung gestellt, wenn sie mindestens zwei Wochen vor der Hauptversammlung bei der Gesellschaft eingehen und daher von ihr zugänglich zu machen sind (§§ 126, 127 Aktiengesetz); Voraussetzung ist außerdem, dass der Aktionär, der den Antrag bzw. den Wahlvorschlag unterbreitet, ordnungsgemäß legitimiert und zur Hauptversammlung angemeldet ist.
Was ist von der Novelle zu halten? Sie ist aus Aktionärssicht ein wichtiger Fortschritt und für die Gesellschaften leicht handhabbar. Deutliche Zweifel an der Rechtfertigung der vermeintlich Corona-bedingten Einschränkung der Aktionärsrechte in virtuellen Hauptversammlungen bleiben. Der bereits erwähnte MdB Hirte erklärte zum Entwurf der Novelle, „Auf diese Weise werden wir den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Aktionärsbeteiligung gerecht.“ Das ist optimistisch. Es ist zudem eine mittelbare Bestätigung dafür, dass das bisherige Regelungsregime virtueller Hauptversammlungen das verfehlt, was von Verfassungs wegen an Aktionärsbeteiligung geboten ist.
In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 9/20
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