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Digitalisierung im Vereinsrecht - virtuelle und hybride Mitgliederversammlungen möglich
Seit einer Gesetzesänderung in diesem Frühjahr können Vereine ihre Mitgliederversammlungen bei entsprechendem Mehrheitsbeschluss der Mitglieder rein virtuell abhalten; ohne einen solchen vorherigen Beschluss sind hybride Versammlungen auf Anordnung des Vorstands bei der Einberufung möglich – in einer Mischung aus Präsenzversammlung und der Zuschaltung von Mitgliedern im Wege der elektronischen Kommunikation. In jedem Falle müssen die elektronisch Zugeschalteten ihre Rechte vollständig wie in Präsenz ausüben können. Satzungsänderungen sind nicht erforderlich.
Zuvor galt für Vereine der Grundsatz, dass Mitgliederversammlungen als Präsenzversammlung an einem bestimmten physischen Ort stattzufinden haben (§ 32 BGB a.F.). Ausnahmen hiervon kamen lediglich aufgrund einer Satzungsregel sowie bei Zustimmung aller Vereinsmitglieder in Betracht. Zudem können Vereinsbeschlüsse auch schriftlich außerhalb von Versammlungen gefasst werden; das gilt nach wie vor. Dann müssen aber ausnahmslos alle Mitglieder dem Beschluss zustimmen. Der Bundesrat hielt es für unzumutbar, angesichts zahlreicher kleinerer Vereine am Erfordernis der zwingenden Satzungsregel festzuhalten, zumal der Kosten- und der entsprechende Umsetzungsaufwand dagegen sprächen. Die Ermöglichung virtueller und hybrider Vereinsversammlungen im Zuge der Corona-Krise habe sich bewährt. Sie stärkten auch die Mitgliedschaftsrechte, denn mit ihr könnten Mitglieder an Versammlungen teilnehmen, denen das Aufsuchen des Versammlungsorts nicht oder nur schwer möglich sei. Hieran wollte der Bundesrat als Prinzip festhalten. Denn die Förderung des ehrenamtlichen Engagements und von gemeinnützigen Zwecken erfordere, Vereinen und Stiftungen für ihre gesellschaftlich bedeutsame Arbeit praktikable und zeitgemäße gesetzliche Rahmenbedingungen zur Verfügung zu stellen. Mitte 2022 beschloss der Bundesrat den entsprechenden Gesetzentwurf, der sogleich in den Bundestag eingebracht wurde (Bundestagsdrucksache 20/2532).
Im Zuge der Beratungen des Bundestags wurde der Inhalt des Bundesrats-Entwurfs geringfügig sprachlich verändert, ohne das Konzept sachlich entscheidend zu verändern. Satzungsänderungen sind nicht erforderlich. Das Einberufungsorgan kann auch ohne vorherigen Mitgliederentscheid zu einer hybriden Versammlung einberufen – auch eine Minderheit, die gerichtlich zur Einberufung der Mitgliederversammlung ermächtigt ist. Die rein virtuelle Versammlung erfordert den vorherigen Mitgliederentscheid. Gibt es keinen, bleibt es bei dem Prinzip, dass eine ausschließlich virtuelle Versammlung unzulässig ist; jedes Mitglied behält die Möglichkeit, der Versammlung in Präsenz beizuwohnen. Der Gesetzgeber erhofft sich durch die Entscheidungsfreiheit der Teilnehmer bei hybriden Versammlungen eine Stärkung der Mitgliederrechte: Jedes Mitglied sollte aufgrund seiner jeweiligen persönlichen Situation (technische Versiertheit, Gesundheitszustand, Anreiseaufwand) individuell entscheiden können, wie es seine Mitgliedschaftsrechte ausüben wolle.
Anders ist es bei vorheriger Ermächtigung der Mitglieder zu virtuellen Versammlungen: Dann sind rein virtuelle Versammlungen möglich. Die Mitglieder können aber nur beschließen, künftige Versammlungen virtuell abzuhalten. Ohne vorherigen Mitgliederentscheid rein virtuell einberufene Versammlungen können sie nicht nachträglich legitimieren – es sei denn, alle Mitglieder stimmen zu. Die Ermächtigung kann sich sowohl auf zeitlich einzelne bzw. inhaltlich bestimmte Versammlungen beziehen als auch auf alle künftigen Versammlungen. Für den Beschluss reicht die übliche einfache Mehrheit für Vereinsbeschlüsse. Ebenso wie Mitglieder virtuelle Versammlungen ermöglichen können, können die Mitglieder die Ermächtigung dazu wieder zurücknehmen. Der Vorstand soll seine Entscheidung zur hybriden Versammlung ohne besondere Ermessensschranken fällen können. Gleiches gilt nach herrschender Meinung für den Mitgliederentscheid zur Ermöglichung virtueller Versammlungen.
Anders als zB im Aktienrecht macht das Gesetz keine Vorgaben, wie virtuelle und hybride Versammlungen technisch auszusehen haben. Möglich ist die Teilnahme mittels Bild- oder Tonübertragung (Videokonferenz); zudem ist jede geeignete Kommunikationsform möglich – insb. auch Telefonkonferenz, Meinungsaustausch im Chat (Internetdialog) oder Abstimmung per E-Mail. Das hat der Rechtsausschuss des Bundestags klargestellt (BT-Drs. 20/5585 Seite 11). Der Gesetzgeber wollte so dem einberufenden Organ ermöglichen, die virtuelle Teilnahme sowie die Ausübung der Mitgliederrechte so zu organisieren, wie es sich für den jeweiligen Verein am besten eignet. In jedem Fall zu gewährleisten ist neben der elektronischen Teilnahme die Ausübung aller Mitgliederrechte gleichwertig wie in Präsenz, insb. das Rede-, Antrags-, Vortrags-, Auskunfts- und Stimmrecht. Der Verein muss sicherstellen, dass die Mitglieder die Rechte rechtlich einwandfrei ausüben können.
Wollen die Vereinsmitglieder hybride und/oder virtuelle Versammlungen verhindern, sind ausdrückliche Satzungsregelungen nötig.
Die Neuregelung gilt ab sofort für alle Mitgliederversammlungen von Vereinen; darüber hinaus auch für Entscheidungen des Vereinsvorstands. Zudem gelten die Neuerungen im Grundsatz entsprechend für Entscheidungen von Stiftungsorganen – mit einer Besonderheit: Die Stiftung muss sich in ihrer Entscheidungspraxis nach den Vorgaben ihrer Stifterin oder ihres Stifters richten; daher macht das Gesetz den Vorbehalt, dass die Satzung der Stiftung keine abweichende Regelung vorsieht. Regelmäßig werden daher Änderungen der Satzung notwendig sein, wenn diese Präsenzversammlungen vorsieht.
Kritik gibt es an der Neuregelung für die Ermöglichung hybrider und virtueller Versammlungen wegen des fehlenden Erfordernisses einer entsprechenden Satzungsregelung. Es spricht viel dafür, dass die Möglichkeit von Entscheidungen im unmittelbaren Austausch der Mitglieder in Präsenz zum Kernbereich der Mitgliederrechte zählt. Davon Abstriche zu machen, erfordert die Zustimmung sämtlicher Mitglieder oder zumindest eine förmliche Satzungsänderung, nicht aber die einfache Mehrheit einer zufälligen Mitgliederversammlung, gar unter Beteiligung einer Mehrheit von bloß hybrid teilnehmenden Mitgliedern, die ihre Stimme nicht in Präsenz vor den Augen der anderen Mitglieder abgeben. Mit gutem Grund hat der Gesetzgeber für die virtuelle Hauptversammlung in der Aktiengesellschaft das Prinzip einer förmlichen Satzungsänderung vorgeschrieben.
Abgesehen von der fragwürdigen Art der Ermöglichung hybrider Versammlungen allein durch Vorstandsentscheid bzw. virtueller Versammlungen allein durch Zufallsentscheidung einer (ggf. hybriden) Mitgliederversammlung könnte die Neuregelung einen Fortschritt im Vereinsrecht ermöglichen – wenn die Vereine die Neuregelung tatsächlich so nutzen, wie vom Gesetzgeber gewollt: als Mittel zur Stärkung der Vereinsdemokratie und der Mitgliederrechte. Evident ist die Aufwands- und Kostenersparnis für Vereine; sie ersparen sich den Aufwand von Satzungsänderungen und den Mitgliedern Kosten und Aufwand von Anreisen. Zu hoffen bleibt, dass entsprechend der Intention des Gesetzgebers die Möglichkeiten virtueller und hybrider Versammlungen nicht bloß zu mehr Flexibilität der Vereinsvorstände führen, sondern durch Bürokratieabbau und Digitalisierung einen Anreiz für aktives ehrenamtliches Engagement schaffen.
Dr. Thomas Heidel / Wiss. Mit. Melissa Sinik
In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 3/23
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