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Durchgriffshaftung in einer "doppelstöckigen" Kommanditgesellschaft
Nach der Entscheidung des BGH zur Kommanditistenhaftung im Mai dieses Jahres (Az.: II ZR 38/20), über die wir Sie in unserem Newsletter 07-2021 bereits informierten, hat sich der 2. Zivilsenat des BGH im August 2021 erneut zur Kommanditistenhaftung geäußert, dieses Mal durch eine Erweiterung der Haftung bei „doppelstöckigen Kommanditgesellschaften“ (Az.: II ZR 123/20).
Im Zentrum der Entscheidung des BGH stand ein für Kapitalanleger aufgelegter Publikums-Fonds, der in der Rechtsform einer GmbH & Co KG organisiert war (Dachfonds). Diese Obergesellschaft war ihrerseits als Kommanditistin an drei weiteren (Schiffs-)Fonds in der Rechtsform einer KG (Unterfonds) beteiligt. Nachdem über die drei Unterfonds das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, hat der Insolvenzverwalter der Unterfonds einen Kommanditisten des Dachfonds, einen privaten Anleger, gem. § 172 Abs. 4 Handelsgesetzbuch (HGB) auf Einlagenrückgewähr in Höhe von rund 30.000 € in Anspruch genommen. Diesem waren in den Jahren 2004-2007 von dem Dachfonds nicht durch Gewinne gedeckte Ausschüttungen in dieser Höhe zugeflossen, nachdem der Dachfonds seinerseits von den Unterfonds Ausschüttungen in Höhe von rund 950.000 € erhalten hatte, die ebenfalls nicht durch Gewinne gedeckt waren. Der Insolvenzverwalter verklagte deswegen den Anleger auf Rückzahlung der an ihn gezahlten Ausschüttungen.
Das Landgericht Aurich hatte der Klage des Insolvenzverwalters zunächst stattgeben, während sie vom Oberlandesgericht Oldenburg als Berufungsinstanz abgewiesen wurde. Auf die Revision des Insolvenzverwalters hat der BGH das Berufungsurteil aufgehoben und zur erneuten Sachverhaltsaufklärung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen.
Der BGH bekräftigte zunächst das Recht des Insolvenzverwalters nach § 171 Abs. 2 HGB, die Ansprüche der Gläubiger der Unterfonds gegenüber dem Kommanditisten des Oberfonds geltend zu machen, auch wenn über die Obergesellschaft noch kein Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Anderenfalls würde der Zweck des § 171 Abs.2 HGB, eine Gleichbehandlung der Gläubiger sicherzustellen, verfehlt. Ohne eine solche Bündelung der Anspruchsberechtigung bei dem Insolvenzverwalter der Untergesellschaft könnte jeder einzelne Gläubiger der Untergesellschaft gegenüber Gesellschaftern der Obergesellschaft Haftungsansprüche geltend machen und sich dadurch gegenüber anderen Gläubigern eine bessere Position verschaffen. Denn in dem Maße, in dem die Gesellschafter der Obergesellschaft Zahlungen leisteten, erlösche die zur Insolvenzmasse gehörende Haftung der Obergesellschaft gegenüber der Untergesellschaft. Dies solle durch das geordnete Insolvenzverfahren vermieden werden, das eine gleichmäßige Verteilung der Masse gewährleisten solle. Dass demgegenüber die Gläubiger der Obergesellschaft, die nicht an dem Insolvenzverfahren der Untergesellschaften teilnehmen, benachteiligt würden, rechtfertige keine Ausnahme von dem Prozedere, so der BGH.
Anders als vom OLG angenommen sei es gerade nicht Voraussetzung des § 171 Abs. 2 HGB, dass auch über die Obergesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet sei. Gerade das Gegenteil sei der Fall, weil mit der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Obergesellschaft nur noch der dortige Insolvenzverwalter gem. § 171 Abs. 2 HGB Ansprüche gegen die Gesellschafter der Obergesellschaft geltend machen könne.
Neben der Klärung dieser prozessualen Frage, wer mögliche Ansprüche gegen die Kommanditisten der Obergesellschaft (die Anleger) geltend machen kann, befasste sich der BGH mit der materiell-rechtlichen Frage, ob die Anleger die erhaltenen Ausschüttungen zurückzahlen müssen. Er bejaht dies unter Hinweis auf die Vorschrift des § 172 Abs. 4 HGB. Diese Norm bestimmt, dass die Auszahlung von Ausschüttungen, die nicht von Gewinnen der betreffenden Gesellschaft gedeckt sind, als Rückzahlung der früher von den Gesellschaftern eingezahlten Einlagen anzusehen sind. Eine solche Rückzahlung von Einlagen führt dann zum „Wiederaufleben der Haftung“ für gezeichnete Einlagen gem. § 171 Abs. 1 HGB. Das gelte, so der BGH, sowohl im Verhältnis der Anleger (Kommanditisten der Obergesellschaft) zur Obergesellschaft als auch in deren Verhältnis zu den Untergesellschaften, weil insofern die Obergesellschaft Kommanditistin ist.
Zu möglichen Einwänden der Anleger hat der BGH dann folgendes entschieden: Die Kommanditisten (Anleger) der Obergesellschaft könnten ihrer Inanspruchnahme Einwendungen nach §§ 161, 129 HGB nur begrenzt entgegenhalten. Mit der unwidersprochenen Feststellung der Forderungen der Gläubiger der Untergesellschaft zur Insolvenztabelle sei deren Bestehen im Verhältnis zu den anderen Gläubigern und dem Insolvenzverwalter gemäß § 178 Abs. 3 Insolvenzordnung (InsO) rechtskräftig festgestellt. Entsprechendes ergebe sich mittelbar aus § 201 Abs. 2 InsO auch gegenüber dem Schuldner. Der verklagte Anleger hätte – so der BGH weiter – sein Informationsrecht aus § 166 HGB dazu nutzen können, sich über die Vorgänge in den Untergesellschaften zu informieren und der Feststellung von Forderungen zu widersprechen. Dass sich dies möglicherweise als praktisch schwierig erweise, sei eine Folge der von ihm selbst gewählten Organisationsstruktur und entspreche spiegelbildlich der Schwierigkeit der Gläubiger der Untergesellschaft, die Gesellschafter der Obergesellschaft ausfindig zu machen.
Da das Berufungsgericht keine Feststellungen dahingehend getroffen hatte, ob andere Gesellschafter der Obergesellschaft bereits Zahlungen geleistet haben und welche Masse bei den Untergesellschaften jeweils vorhanden ist, sodass möglicherweise eine Inanspruchnahme des beklagten Kommanditisten nicht erforderlich ist, hat der BGH das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Zur Einordnung der Entscheidung weisen wir auf folgendes hin:
Der vom BGH in Anwendung der §§ 128, 129, 171 Abs. 1, 172 Abs. IV HGB festgestellte „Durchgriffs“-Anspruch von Gläubigern der Untergesellschaft auf die Kommanditisten der Obergesellschaft in einer Haftungskette über die mehrstöckige Gesellschaftskonstruktion hinweg ist dogmatisch sauber hergeleitet. Das gilt auch für die verfahrensrechtliche Seite des Falles, die Klagebefugnis des Insolvenzverwalters der Untergesellschaft als Partei kraft Amtes gemäß § 171 Abs. 2 HGB.
Das Ganze stellt aber „juristisches Hochreck“ dar, weshalb u.E. die – im Ergebnis recht „mitleidlosen“ – Ausführungen des BGH zu Erkenntnis- und Interventionsmöglichkeiten der Kommanditisten der Obergesellschaft wenig überzeugen. Denn bei diesen handelt es sich in dem hier entschiedenen Fall um private Kapitalanleger, d.h. Verbraucher. Wenn schon der mit drei Berufsrichtern besetzte Senat des OLG Oldenburg deren Haftung für ausgeschlossen hielt, fragt man sich, wie ein Verbraucher das hätte erkennen können. Der Hinweis des BGH darauf, die Anleger hätten die Organisationsstruktur schließlich selbst gewählt, verkennt, dass derart komplexe Anlagemodelle von Privatpersonen praktisch nicht verstanden werden können, sondern ihnen von Kapitalanlagegesellschaften und deren Vermittlern als fertige „BlackBox“ vorgegeben werden, auf deren Ausgestaltung die Anleger keinerlei Einfluss haben. Die Gesellschaftsverträge der Publikumsgesellschaften stellen nach seit langem gefestigter Rechtsprechung sog. „Allgemeine Geschäftsbedingungen“ (AGB) dar, die bei Intransparenz für die betroffenen Verkehrskreise, ins. Verbraucher, nichtig sind (§ 307 BGB). Dies wirft im Übrigen die Frage nach möglichen Schadensersatzansprüchen der Anleger gegen Anlagevermittler und/oder Gründungsgesellschafter auf (s. dazu am Ende dieses Beitrags).
Bei doppelstöckigen Fondsmodellen könnte es allerdings möglicherweise für Anleger, die nur an der Obergesellschaft beteiligt sind, je nach konkretem Sachverhalt auch gegenüber den Gläubigern der Untergesellschaft noch einen Ausweg geben: Wenn die von der Obergesellschaft an die Anleger ausgezahlten Ausschüttungen nur deshalb (ganz oder teilweise) als Einlagenrückgewähr – statt Bezugs echter Gewinne – im Sinne von § 172 Abs. 4 HGB zu werten sein sollten, weil die Einkünfte der Obergesellschaft ihrerseits nicht auf echten Gewinnen beruhten (und sie deshalb selbst einer Haftung nach §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 4 HGB gegenüber der Untergesellschaft ausgesetzt ist), könnten sich die Anleger der Obergesellschaft gegenüber ihrer Inanspruchnahme aus §§ 171 Abs. 1, 172 Abs. 4 HGB möglicherweise auf § 172 Abs. 5 HGB berufen. Nach dieser Vorschrift gibt es kein „Wiederaufleben der Haftung“ wegen erhaltener Ausschüttungen, soweit der Empfänger in gutem Glauben davon ausgehen durfte, dass er die erhaltenen Beträge aus echten Gewinnen seiner Gesellschaft (Obergesellschaft) bezogen hat. Das dürfte dann der Fall sein, wenn in der Bilanz der Obergesellschaft die an diese von der Untergesellschaft geflossenen Ausschüttungen „unverdächtig“ waren. „Guter Glaube“ bedeutet insofern, dass dem Empfänger nicht positiv bekannt sein darf, dass die Bilanz nicht stimmte und dass seine Unkenntnis auch nicht grob fahrlässig war. Auf diesem Weg ließe sich das Argument des BGH, die Anleger hätten doch Auskunftsrechte, die sie nur geltend machen müssten, auf dogmatisch einwandfreiem Weg, nämlich eben über § 172 Abs. 5 HGB entkräften. Denn einem Anleger wird man es kaum als grob fahrlässig vorwerfen können, die Bilanz seiner Gesellschaft nicht daraufhin untersucht zu haben, ob einzelne Positionen – hier: die Einnahmen aus von der Untergesellschaft stammenden Ausschüttungen – nicht korrekt dargestellt sind. Zu § 172 Abs. 5 HGB findet sich in dem Urteil des BGH jedoch nichts, vielleicht weil der Sachverhalt das konkret nicht hergab oder die Norm in dem Verfahren nicht thematisiert worden war.
Unabhängig von der vorstehend dargestellten schwierigen Ausnahme lässt die für Anleger harte Entscheidung des BGH nur die Empfehlung zu, dass private Geldanleger von derart komplexen gesellschaftsrechtlich strukturierten Kapitalanlageprodukten besser die Finger lassen sollten. Die zweite Empfehlung lautet: Wer durch solche Produkte Schäden erlitten hat, sollte prüfen lassen, ob er noch Vermittler oder Gründungsgesellschafter wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten in Anspruch nehmen kann.
Dr. Gerd Krämer / Faris Schäfer
In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 8/21
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