Meilicke Hoffmann und Partner - Anwaltskanzlei Bonn

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    Großer Spielraum bei Verdachtsberichtserstattung II: Keine Gegendarstellung gegen Bericht über mögliches Steuersparmodell

    Im Newsletter 3/21 besprachen wir die viel beachtete Entscheidung des OLG Nürnberg über die gescheiterte Millionenklage eines Solarunternehmens gegen die Süddeutsche Zeitung. Das Gericht räumte bei einem sorgfältig recherchierten Bericht über den Verdacht von Insiderhandel mit allem Recht der Pressefreiheit den Vorrang vor dem Schutz der wirtschaftlichen Interessen des Betroffenen ein. Auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bekräftigte jüngst einmal wieder den weiten Spielraum bei der Verdachtsberichterstattung in wirtschaftlichen Sachverhalten. Der Fall betraf einen Streit zwischen dem „Spiegel“ und dem Fernsehmoderator Johannes B. Kerner. Dabei ging es um die Pflicht des Magazins zum Abdruck einer Gegendarstellung. Der „Spiegel“ hatte diese zwar aufgrund gerichtlicher Entscheidungen gedruckt. Er rief im Anschluss jedoch das BVerfG an, um eine Verletzung seiner grundgesetzlich verbürgten Pressefreiheit feststellen zu lassen. Und bekam Recht: Im Zweifel ist im Interesse eines wirksamen Grundrechtsschutzes davon auszugehen, dass es sich bei einer Veröffentlichung um eine Meinungsäußerung handelt; und dagegen gibt es keine Gegendarstellung.

    Der Fall des BVerfG (Kammerbeschluss vom 9. Dezember 2020 – 1 BvR 704/18) betraf einen Spiegel-Bericht über deutsche Unternehmen und Prominente, die möglicherweise Steuersparmodelle in Malta nutzen. Die Informationen stammten von einer Liste – die sogenannten Malta Files –, die ein Journalistennetzwerk dem Spiegel zugespielt hatte. Darauf fand sich auch der Name des Fernsehmoderators. Der hatte über einen Anwalt auf Malta eine Gesellschaft gründen lassen. Diese, die „Cloverleaf Yachting Ltd.“ gibt als Unternehmenszweck „Kauf, Betrieb, Verleih und Bau von Schiffen jeder Art“ an. Ihr Hauptgesellschafter ist der Moderator. Konkrete Fragen des Spiegel zur Gesellschaft wurden nicht beantwortetet: Die vom Magazin unterstellten Sachverhalte träfen nicht zu, das Thema sei eine reine Privatsache, hieß es. Für Jachten gelten auf Malta Steuer(spar)modelle: Je größer die Jacht, desto geringer der Steuersatz. Diese unstreitigen Punkte führte der Spiegel in seinem Bericht auf. Darüber hinaus schrieb er u.a.: „Hat Kerner die Firma für eine Jacht und ein Steuerschnäppchen gegründet? Warum also Malta, Herr Kerner? Ging es wirklich um ein Schiff? Obwohl Kerner doch bisher nie als Skipper aufgefallen ist? Alles legal, alles privat, mehr sage man dazu nicht.“

    Gegen den Bericht klagte der Fernsehmoderator auf Veröffentlichung einer Gegendarstellung. LG und OLG Hamburg gaben ihm letztlich Recht. Der grundsätzliche Anspruch auf Gegendarstellung ist verbürgt in allen deutschen Landespressegesetzen, etwa in § 11 Hamburgisches Pressegesetz. Der Anspruch besteht aber nur für Tatsachenbehauptungen. Meinungsäußerungen (Werturteile) sind nicht gegendarstellungsfähig. Die Einordnung einer Aussage als Tatsache oder aber als Meinung ist daher entscheidend. Dabei muss man den Anforderungen der Meinungs- und Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 Grundgesetz, GG) gerecht werden. Die Hamburger Gerichte warfen dem Spiegel vor, die Grenzen der Meinungsäußerung zur Tatsachenbehauptung überschritten zu haben: Er habe die „als Verdacht verbreitete Tatsachenbehauptung“ aufgestellt, der Moderator habe die maltesische Gesellschaft möglicherweise gegründet, um (Mehrwert-)Steuer zu sparen. Damit habe er sich über die angebliche Motivation Kerners geäußert. Die sei dem Beweis zugänglich. Das ist entscheidendes Kriterium für Tatsachenbehauptung in Abgrenzung zur Meinungsäußerung. Die Hamburger Gerichte verurteilten den Spiegel so zum Abdruck einer Gegendarstellung („Hierzu stelle ich fest: Der in dieser Veröffentlichung zum Ausdruck kommende Verdacht ist falsch. Die Cloverleaf Yachting Ltd. wurde nicht gegründet, um Mehrwertsteuer zu sparen. Der beschriebene Mehrwertsteuervorteil auf Malta kommt bei der Jacht der Cloverleaf Yachting Ltd. nicht zum Tragen“; LG Hamburg, Urteil vom 3. November 2017 – 324 O 411/17; OLG Hamburg, Urteil vom 06. Februar 2018 – 7 U 138/17).

    Dem Spiegel blieb danach nichts anderes übrig, als die gerichtlich angeordnete Gegendarstellung zu veröffentlichen. Der Fernsehmoderator hätte die Veröffentlichung sonst zwangsweise durchsetzen können. Danach rief der Spiegel das BVerfG an, um eine Verletzung seiner Pressefreiheit feststellen zu lassen. Das ist möglich: Auch nach Veröffentlichung besteht nach der ständigen Rechtsprechung des BVerfG ein Rechtsschutzbedürfnis an der Feststellung der Rechtmäßigkeit der Gegendarstellung bzw. der Grundrechtsverletzung durch die instanzgerichtliche Pflicht zu deren Abdruck.

    Das BVerfG hält die Verfassungsbeschwerde für „offensichtlich“ begründet. Der Spiegel habe eine Meinung geäußert, keine Tatsachen behauptet. Tatsachen seien geprägt durch ihre „objektive Beziehung zur Wirklichkeit“ und der Zugänglichkeit zum Beweis. In Abgrenzung dazu liege eine Meinungsäußerung vor, wenn die Äußerung durch „Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens“ geprägt ist. Zwar räumt das BVerfG ein, dass die Einordnung einer konkreten Äußerung Schwierigkeiten bereiten kann. Allerdings gibt es auch für solche Aussagen zumindest theoretisch klare Regelungen, in denen sich Wertungen mit tatsächlichen Elementen mischen: Dann kommt es darauf an, welcher der Bestandteile in den Hintergrund tritt. Letztlich verlangt das BVerfG in ständiger Rechtsprechung im Interesse eines wirksamen Schutzes der Meinungs- und Pressefreiheit, dass bei Zweifeln stets eine Meinungsäußerung anzunehmen ist, nicht aber eine Tatsachenbehauptung.

    Der Spiegel hatte nach Sicht des BVerfG die Angaben des Fernsehmoderators und seines Anwalts lediglich kritisch bewertet sowie Zweifel an deren Vollständigkeit und Richtigkeit erhoben. Das habe er als Vermutungen ausgewiesen. Das Magazin habe offen mitgeteilt, man wisse nicht, ob die Malta-Gesellschaft zum Erwerb einer Jacht und damit für ein „Steuerschnäppchen“ gegründet wurde. Das sei von Elementen der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägt. Das BVerfG stützt sich zur Begründung auch auf die in die gleiche Richtung gehende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR). Danach seien Schlussfolgerungen zu Beweggründen grundsätzlich eher Werturteile.

    Mit seiner Entscheidung unterstreicht auch das BVerfG einmal mehr die Bedeutung der Pressefreiheit insbesondere für gesellschafts- und wirtschaftspolitische Themen. Die Fachgerichte müssen sie bei der Auslegung der Grundrechte und ihrer grundsätzlich möglichen Beschränkung besonders stark berücksichtigen. Die von den Hamburger Gerichten vorgenommene Einordnung der Spiegel-Aussagen als Tatsachenbehauptung lag sehr fern – hatte doch der Spiegel eindeutig klar gemacht, dass man die tatsächlichen Motive nicht kennt; über weite Strecken formulierte er Vermutungen lediglich in Fragesätzen. Für Akteure, die sich die Gestaltungsmöglichkeiten des Gesellschafts-, Wirtschafts- und Steuerrechts zu Nutze machen, heißt dies, dass sie eine solche Berichterstattung im Interesse des hohen Guts der Presse- und Meinungsfreiheit als Aspekte des Demokratieprinzips „aushalten“ müssen.

    Maike Mestmäcker / Dr. Thomas Heidel

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 5/21

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