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    Keine gerichtliche Aufsichtsratsbestellung bei Anfechtung der Wahl

    Das Oberlandesgericht (OLG) München hat entschieden, dass Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat während eines anhängigen Wahlanfechtungsverfahrens nicht „zur Absicherung“ gerichtlich als Aufsichtsrats-Mitglieder bestellt werden können (Beschluss vom 22. Dezember 2020, 31 Wx 436/20). Auch können Vorstandsmitglieder nicht erwirken, dass gerichtlich ein Aufsichtsratsvorsitzender bestellt wird.

    Die Vorstandsmitglieder einer Aktiengesellschaft hatten beantragt, Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat gerichtlich zu bestellen, deren Wahl in einem arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren angefochten wurde (§ 22 Mitbestimmungsgesetz - MitbestG). Sie stützten sich dabei auf verschiedene Antragsvarianten – die Voraussetzungen für eine unmittelbar auf § 104 Aktiengesetz (AktG) gestützte Bestellung seien gegeben – dazu sogleich –, hilfsweise könne das Gericht die Arbeitnehmer-Vertreter in entsprechender Anwendung des § 104 AktG bestellen, jedenfalls sei eine auf die rechtskräftige Nichtigerklärung aufschiebend bedingte und auf den Zeitpunkt des gerichtlichen Beschlusses zurückwirkende Bestellung in entsprechender Anwendung des § 104 AktG möglich. Zusätzlich begehrten die Vorstandsmitglieder auch die gerichtliche Bestellung des Aufsichtsratsvorsitzenden.

    Das OLG lehnte es ab, die von der Wahlanfechtung betroffenen Aufsichtsratsmitglieder gerichtlich zu bestellen. Denn der Aufsichtsrat war – nach richtiger Auffassung des Gerichts – vollständig besetzt und handlungsfähig.

    Eine gerichtliche Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern in unmittelbarer Anwendung des § 104 AktG ist nur möglich, wenn der Aufsichtsrat zu wenige wirksam bestellte Mitglieder hat (und somit keine wirksamen Beschlüsse fassen kann) oder länger als 3 Monate unterbesetzt ist. Bei dem Mitbestimmungsgesetz unterfallenden Aktiengesellschaften genügt es auch, wenn die mitbestimmungsrechtliche Parität gestört ist, weil ein Arbeitnehmer-Vertreter nicht wirksam bestellt ist. Das OLG München ging zu Recht davon aus, dass bei einer Anfechtung der Wahl von Arbeitnehmer-Vertretern gerade keine Handlungsunfähigkeit vorliegt, denn die Bestellungsbeschlüsse sind trotz der Anfechtung zunächst wirksam, bis das Gericht rechtskräftig ihre Nichtigkeit feststellt. Anders ist dies nur im Fall einer Nichtigkeit der Beschlüsse, in diesem Fall ist ein solcher Beschluss unmittelbar unwirksam.

    Auch einer gerichtlichen Bestellung der Arbeitnehmer-Vertreter in entsprechender Anwendung des § 104 AktG schob das OLG München einen Riegel vor. Denn dies setze voraus, dass der Gesetzgeber unbewusst eine Regelungslücke gelassen habe und der Einzelfall auch mit dem gesetzlich schon geregelten vergleichbar ist. Der Gesetzgeber schuf mit der Möglichkeit der gerichtlichen Aufsichtsratsbestellung ein Instrument, das handlungsunfähige Gesellschaften schützen und für einen Übergangszeitraum die Handlungsfähigkeit wiederherstellen soll. Nach richtiger Auffassung des OLG war die Aktiengesellschaft aber gerade nicht handlungsunfähig. Zwar sah das Gericht das – vermeintliche – Risiko, dass bei einer wirksamen Anfechtung der Wahl Maßnahmen unter Beteiligung der betroffenen Arbeitnehmer-Vertreter unwirksam seien. Dies rechtfertige aber die gerichtliche Bestellung nicht, denn bis zur rechtskräftigen Entscheidung seien die Arbeitnehmer-Vertreter wirksam bestellt. Das OLG München schloss sich zu dieser Frage der Auffassung des OLG Köln an – die maßgeblich von unserem Partner Dr. Thomas Heidel erstritten wurde (OLG Köln, Entscheidungen vom 29.03.2007, BeckRS 2007, 8237, und vom 23.02.2011, FGPrax 2011, 153). Die Auffassung des OGL München trifft im Ergebnis zu; es bestand aber entgegen dessen Auffassung schon kein Risiko für eine rückwirkende Unwirksamkeit von Organhandlungen. Denn die Anfechtung in einem Verfahren nach § 22 MitbestG entfaltet nur Wirkungen für die Zukunft, nicht aber für die Vergangenheit. Rückabwicklungsschwierigkeiten können daher nicht auftreten.

    Das OLG München tritt auch einem „kreativen“ Ansatz entgegen, der – vermeintlich – drohende Rückabwicklungsschwierigkeiten verhindern soll, indem die Arbeitnehmer-Vertreter unter der aufschiebenden Bedingung der rechtskräftigen Nichtigerklärung rückwirkend auf den Zeitpunkt des gerichtlichen Beschlusses bestellt werden sollen. Das Gericht hätte es sich einfach machen können und diesen Ansatz schon aus dem oben geschilderten Grund ablehnen können, dass die Anfechtung bei der Wahl von Arbeitnehmer-Vertretern nur Wirkung für die Zukunft entfaltet. Da die Bestellung der Arbeitnehmer-Vertreter ohnehin für die Vergangenheit wirksam ist, bedarf es keiner rückwirkenden Bestätigung zur Vermeidung vermeintlicher Rückabwicklungsschwierigkeiten. Dennoch ist die Entscheidung von Bedeutung, jedenfalls für die Anfechtung von Aufsichtsratswahlbeschlüssen der Hauptversammlung. Das OLG München schließt sich auch zu dieser Frage den o.g. Entscheidungen des OLG Köln an. Im Kern spricht gegen diese Lösung, dass das Gericht nur die bereits bestellten Aufsichtsratsmitglieder, deren Wahlbeschluss angefochten wurde, bestellen kann, um die gewollte Kontinuität im Aufsichtsrat zu erreichen. Würde es andere Personen bestellen, gäbe es u.U. zu viele Aufsichtsratsmitglieder, was wiederum zu Rechtsunsicherheiten führen würde. Das Auswahlermessen des Gerichts würde also auf Null reduziert, was dem gesetzlich verankerten Grundsatz widerspricht, dass es nach pflichtgemäßem Ermessen ohne Bindung an die Anträge der Beteiligten entscheidet. Die aufschiebend bedingte gerichtliche Aufsichtsrats-Bestellung würde zudem die Wirkungen von Wahlanfechtungsklagen massiv entwerten und somit die Aktionärsrechte beschneiden. Das OLG München hat diesen Antrag daher zu Recht abgelehnt.

    Schließlich war auch der letzte Antrag der Vorstandsmitglieder nicht von Erfolg gekrönt: Vorstandsmitglieder haben kein schützenswertes Interesse daran, gerichtlich einen Aufsichtsrats-Vorsitzenden bestellen zu lassen. Denn die Bestellung betrifft einzig das Innenrecht des Aufsichtsrats – antragsberechtigt wären mithin nur Aufsichtsrats-Mitglieder gewesen. Dies hat das OLG München zu Recht festgestellt.

    Dr. Torben Illner

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 2/21

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