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Massive Veränderung grundlegender Prinzipien des Aktienrechts unter dem Postulat der Zukunftsfinanzierung
Zukunftsfinanzierungsgesetz (ZufinG) heißt ein Entwurf der Bundesregierung für eine Reform, die noch vor Ende 2023 verabschiedet werden soll. Anders als nach dem Titel zu erwarten, geht es da nicht um die staatliche Finanzierung von Zukunftsaufgaben, etwa der Energiewende. Das Gesetz soll vielmehr die Unternehmensfinanzierung über den Kapitalmarkt in Schwung bringen. Es postuliert, Aktien attraktiver zu machen, um Nachfrageseite (Kapitalanlage) und Angebotsseite (Zahl börsennotierter Gesellschaften) zu stärken. Was der Entwurf dazu konkret bringt, ist ein Stück weit Griff in die längst überwunden geglaubte Mottenkiste des Aktienrechts: Als Wundermittel will die Regierung ua Mehrstimmrechtsaktien einführen.
Der Leitsatz des Regierungsentwurfs (Bundestags-Drucksache 20/8292; Bundesrats-Drucksache 362/23) lautet: „Unser Land benötigt Investitionen in nahezu beispiellosem Umfang“; nur so könnten „Wohlstand gesichert … und Gesellschaft und Wirtschaft zügig auf Digitalisierung und Klimaschutz eingestellt“ werden. Dazu solle „insbesondere“ Startups, Wachstumsunternehmen sowie kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) als „Betreiber von Innovation“ der Zugang zum Kapitalmarkt und die Aufnahme von Eigenkapital erleichtert werden. Was der Entwurf mit dem Wort „insbesondere“ mehr vernebelt als klar begründet, ist der umfassende Geltungsbereich: Die im Gesetz vorgesehenen Regeln werden für sämtliche (zumal Aktien-) Gesellschaften gelten. So will der Gesetzgeber in wichtigen Teilen der Aktienrechtspraxis ein grundlegend neues Regime einführen.
Was bringt der Entwurf im Aktienrecht?
●Wiedereinführung der Mehrstimmrechtsaktien:
Die waren im Aktiengesetz 1965 im Wesentlichen und 1998 endgültig aus dem deutschen Aktienrecht gestrichen worden. Bei den Beratungen 1965 sagte ein FDP-Politiker (Busse), das vollständige Verbot von Mehrstimmrechten sei für die Struktur der gesamten Aktiengesellschaften von entscheidender Bedeutung, sie sei die „richtige, ja … die einzig vertretbare“ Regelung. Gegen Mehrstimmrechtsaktien sprechen zahlreiche negative rechtsökonomische Aspekte, die kürzlich Matthias Casper herausgearbeitet hat, Jurist und Ökonom sowie Professor an der Uni Münster (ZHR 187 (2023), 5): Insb. erschweren sie die für die Unternehmenskontrolle wichtigen Unternehmensübernahmen; sie schwächen die Kontrolle durch die Eigentümer, die Aktionäre; empirische Untersuchungen aus den USA zeigen, dass sich der Unternehmenswert bei Gesellschaften mit Mehrstimmrechten langfristig schlechter entwickelt als bei Gesellschaften mit regulären Aktien. Ein anderer Wissenschaftler (Philipp Ceesay vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg) zeigte kürzlich bei einer Tagung der Bucerius Law School in Hamburg zwei weitere Risiken von Mehrstimmrechtsaktien auf: Sie befördern die Tendenz zu Geschäften mit Nahestehenden und zur privaten Wahrnehmung von Geschäftschancen der Gesellschaft; zudem verleiten sie zu risikoreichen Geschäften, da die Inhaber der Mehrstimmrechtsaktien wegen ihres im Verhältnis zum Stimmgewicht geringen Kapitaleinsatzes selbst wenig ins Risiko zu gehen brauchen. Daher spricht viel dafür, dass die Zulassung von Mehrstimmrechtsaktien kontraproduktiv für die erklärtermaßen bezweckte Förderung der Investitionen in Aktiengesellschaften ist; viele Investoren werden von durch „friends and families“ mit mehrfachem Stimmrecht beherrschten Aktien die Finger lassen und da erst gar nicht investieren.
Von all dem will der Regierungsentwurf der Ampel-Koalition nichts wissen. Nach internationalen Erfahrungen würden Investoren Mehrstimmrechte „keineswegs grundsätzlich“ ablehnen, solche Aktien seien beim Börsengang „nicht grundsätzlich“ geringer bewertet. Der Entwurf nimmt daher die Gründerperspektive ein. Es heißt, „insbesondere“ Wachstumsunternehmen und Start-ups (in Wirklichkeit aber allen AG, SE und KGaA) sollten Namensaktien mit Mehrstimmrechten ermöglicht werden; das beseitige „für die Gründerinnen und Gründer ein mögliches Hindernis für den Börsengang und stärk zugleich Investitions- und Innovationsmöglichkeiten“. Der Entwurf räumt zwar ein, aufgrund Mehrstimmaktien hätten deren Inhaber einen nicht ihrer Kapital- und Risikobeteiligung entsprechenden Einfluss, und sie trügen ein verhältnismäßig geringeres Risiko beim Scheitern des Unternehmens, Missbräuche und Interessenkonflikte seien „denkbar“. Daher sei es „angezeigt“, Mehrstimmrechte „nicht uneingeschränkt zuzulassen“; vielmehr enthalte der Entwurf „konkrete Vorgaben“ zum Minderheiten- und Anlegerschutz.
Von solchen effektiven Schutzmechanismen ist im Gesetzentwurf freilich nicht viel zu finden: Durch Satzungsregeln kann die Hauptversammlung bestehende Namensaktien mit Mehrstimmrechten ausstatten oder neue Mehrstimmrechtsaktien bei einer Kapitalerhöhung ausgeben. Eine Begrenzung des Anteils von Mehrstimmaktien am Grundkapital ist ebensowenig vorgesehen wie eine Begrenzung des Personenkreises der möglichen Inhaber von Mehrstimmaktien; insb. kann Inhaber einer Mehrstimmaktie auch eine GmbH oder eine andere Gesellschaft sein. Mehrstimmaktien dürfen bis das Zehnfache des Stimmgewichts einer regulären Stammaktie haben. Sie können bis zu zwanzig Jahre nach einem Börsengang bestehen bleiben. Danach sowie bei einer Übertragung der Aktie auf einen Dritten erlöschen sie – ohne dass der Gesetzentwurf adressiert, ob als Übertragung auch der Wechsel der Inhaber einer die Mehrstimmaktien haltenden Gesellschaft gilt. Wie klein der Entwurf auch sonst das Postulat Anlegerschutz schreibt, sieht man daran, dass es nur zwei Beschlussarten geben soll, bei denen die Mehrstimmaktien nur zu einer Stimme berechtigen: Bestellung eines Abschluss- und Sonderprüfers. Nicht einmal bei der Beschlussfassung zur Geltendmachung von Haftungsansprüchen der Gesellschaft oder dem Verzicht auf Ersatzansprüche z.B. gegen Vorstandsmitglieder und Unternehmensgründer gibt es einen Deckel für die Stimmmacht. Angesichts typischer Hauptversammlungs-Präsenzen bedeutet das: Mit Aktien in Höhe von 5 % des Grundkapitals hat ein Inhaber einer Mehrstimmaktie mit 10-fachem Stimmgewicht die sichere HV-Mehrheit.
●Erleichterte Durchsetzung von Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss:
Nach bisherigem Aktienrecht (§ 255 AktG) sind Kapitalerhöhungen mit Bezugsrechtsausschluss dann rechtswidrig und anfechtbar, wenn der Ausgabebetrag der neuen Aktien unangemessen niedrig ist. Erhebt ein Aktionär Anfechtungsklage, ist die Durchführung einer Kapitalerhöhung typischerweise blockiert. Nach der überwiegenden Praxis geben die Oberlandesgerichte Kapitalerhöhungen mit Recht auch nicht im Freigabeverfahren zur Durchführung frei, wenn der Kläger hinreichend substantiiert die Unangemessenheit des Ausgabekurses rügt. Das realisierte bislang einen wirksamen Aktionärsschutz. In der Praxis spielt der insb. bei Sachkapitalerhöhungen eine wichtige Rollte. Das bisherige Konzept machte Kapitalerhöhungen für Gesellschaften, die einen Bezugsrechtsausschluss wollen, (aus gutem Grund) kompliziert und langwierig. Unternehmenskreise und ihnen nahestehende Juristen haben das schon jahrzehntelang kritisiert. Nun scheinen sie Erfolg zu haben: Für Bewertungsrügen steht nach dem ZufinG-Entwurf den Aktionären nicht mehr die Anfechtungsklage zur Verfügung. Die Rügen sollen vielmehr nur noch im Spruchverfahren geltend gemacht werden können. Unausgesprochenes Ziel dieser Verschiebung des Rechtsschutzes ist offensichtlich, dass Oberlandesgerichte Kapitalerhöhungen mit zweifelhaftem Ausgabekurs freigegeben. Denn diesbezügliche Rügen gehören künftig nicht mehr in den Anfechtungsprozess und damit wohl auch nicht mehr ins Freigabeverfahren, sondern sind ausschließlich Sache des Spruchgerichts.
●Nach wie vor kein effektiver Rechtsschutz bei Kapitalerhöhungen aus genehmigtem Kapital mit Bezugsrechtsausschluss:
Der Referentenentwurf zum ZufinG (abrufbar auf der Homepage des BMFin) wollte eine empfindliche Lücke des Rechtsschutzes der Altaktionäre schließen und sah Anlegerschutz durch das Spruchverfahren vor. Dagegen liefen interessierte Kreise Sturm, etwa der unternehmensnahe Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins. Er kritisierte die aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes gebotene Angleichung des Rechtsschutzes beim genehmigten Kapital an den Schutz bei der ordentlichen Kapitalerhöhung. Das würde – meinte der Ausschuss – genehmigtes Kapital „nicht zuletzt aus der Sicht internationaler Investoren in seiner Attraktivität mindern“. Der Regierungsentwurf folgt dem, ohne dafür eine Begründung zu geben.
●Weitere Erleichterungen für Kapitalerhöhungen, aber zugleich Minderungen des Anlegerschutzes:
Bei Kapitalerhöhungen hat jeder Altaktionär ein Bezugsrecht – es sei denn, dies ist rechtmäßig ausgeschlossen. Nach geltendem Aktienrecht ist es nicht als Ausschluss des Bezugsrechts anzusehen, wenn die Kapitalerhöhung gegen Bareinlagen 10 % des Grundkapitals nicht übersteigt. Das soll nach dem ZufinG auf 20 % steigen. Zudem soll die Grenze des bedingten Kapitals für Unternehmenszusammenschlüsse auf 60 % steigen, das Bezugsrecht von Arbeitnehmern und Mitgliedern der Geschäftsführung auf 20 % verdoppelt werden.
Weitere wesentliche Rechtsänderungen in anderen Bereichen
Neben diesen tiefgreifenden Änderungen des Aktiengesetzes plant die Ampel-Koalition zur Zukunftsfinanzierung auch deutliche Veränderungen anderer Normen. Die seien hier nur stichwortartig genannt: (vgl. dazu den BMF-Monatsbericht August 2023, Das Zukunftsfinanzierungsgesetz im parlamentarischen Verfahren, abrufbar auf der BMF-Homepage):
●Börsenmantelgesellschaften / SPACs - Special Purpose Acquisition Companies:
In Deutschland gab es bereits wiederholt Transaktionen nach dem SPAC-Modell. Nötig waren dafür bislang ausländische Gesellschaften. Einsetzbar sollen aufgrund einer Änderung des Börsengesetzes nun auch deutsche Aktiengesellschaften sein. Die SPAC ist eine Mantel- oder Vorratsgesellschaft ohne jedes eigene operative Geschäft. Ihr einziger Zweck ist, über einen Börsengang Kapital einzusammeln, mit dem Geld ein nicht notiertes Unternehmen zu übernehmen und so auf indirektem Wege an die Börse zu bringen.
●Kryptoaktie:
Aktienemissionen sollen künftig auf der Grundlage der Blockchain-Technologie möglich sein. Das Gesetz über elektronische Wertpapiere soll die Ausgabe elektronischer Namensaktien als Kryptoaktien vorsehen.
●Erleichterung des Börsenzugangs:
Bislang erfordert ein Börsengang eine Mindestmarktkapitalisierung (voraussichtlicher Kurswert der zuzulassenden Aktien) von € 1,25 Mio. Künftig soll dieser Wert € 1 Mio. betragen. Die bislang vorgeschriebenen Emissionsbegleiter sollen nicht mehr nötig sein, Zulassungskosten sinken.
●Besteuerung:
Mitarbeiterkapitalbeteiligungen will das ZufinG steuerlich erleichtern – und zwar durch Änderungen der Regelungen zur Vermögensbeteiligung von Arbeitnehmern, insb. durch Ausweitungen der Regeln zur aufgeschobenen Besteuerung (§ 19a EStG) und der Möglichkeit, die Besteuerung bis zur Veräußerung der Anteile aufzuschieben, wenn der Arbeitgeber für die Lohnsteuer haftet. Der Freibetrag für Mitarbeiterkapitalbeteiligungen (§ 3 Nr. 39 S. 1 EStG) soll von € 1.440 auf € 5.000 steigen, allerdings unter strikten Voraussetzungen. Für offene Konsortialkredite sind Umsatzsteuerbefreiungen vorgesehen, die umsatzsteuerlichen Befreiungstatbestände sollen auf Kredit- und Kreditsicherheitenverwaltung sowie die Verwaltung von alternativen Investmentfonds ausgedehnt werden.
●Aufsichtsrecht:
Kommunikation in Englisch mit den Aufsichtsbehörden soll umfassend möglich sein, Schriftformerfordernisse durch digitale Kommunikationsmöglichkeiten ersetzt oder erweitert werden. Die BaFin soll ihre Verwaltungsakte auch elektronisch bekanntgeben können.
●AGB-Kontrolle:
Das Gesetz soll Verträge zwischen Finanzunternehmen von der AGB-Kontrolle ausnehmen.
In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 5/23
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