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    Oberster Gerichtshof Österreichs: Verschärfte Leitungspflichten und Organhaftung im Konzern – auf deutsches Recht übertragbar

    Drei Jahre alt ist eine Entscheidung des OGH, des Obersten Gerichtshofs Österreichs, zum Konzernrecht einschließlich der Pflichten sowie der Mitglieder von Vorständen und Aufsichtsräten und ihrer Haftung. Die vom OGH begründete Ausweitung der Konzernleitungsaufgaben hat erhebliche Ausstrahlungswirkung auf das deutsche Recht und daher nichts von ihrer Aktualität und Bedeutung verloren.

    Worum ging es im österreichischen Fall? Um eine alltägliche Konstellation. Eine österreichische Aktiengesellschaft („Mutter-AG“), die Klägerin, hatte eine Tochtergesellschaft („Tochter-AG“). Die Mutter-AG hielt an der Tochter-AG zwar rechnerisch nur eine Minderheitsbeteiligung. Doch sie kontrollierte die Mehrheit der Stimmrechte in der Tochter-AG. Vorstandsmitglied von Mutter- und Tochter-AG war mit einem Doppelmandat Herr V, der Beklagte. Die Tochter-AG hatte eine größere Zahl von weiteren Tochter- und Enkelgesellschaften. V hatte als Vorstand der Tochter-AG für eine von diesen Konzerngesellschaften bestehende Verbindlichkeit gegenüber einer Bank einen Letter of Comfort (Patronatserklärung) in Millionenhöhe abgegeben. Die Geschäftsordnung der Mutter-AG erforderte (ebenso wie die der Tochter-AG) die Zustimmung ihres Aufsichtsrats für die Übernahme von Bürgschaften und Patronatserklärungen für Leistungen Dritter einschließlich Konzernunternehmen. V hatte den Letter of Comfort ohne die Zustimmung abgegeben. Die Tochter-AG musste später aufgrund der Insolvenz der Konzerngesellschaft auf Grundlage des Letter of Comfort zahlen und fiel in die Insolvenz. Die Mutter-AG verklagte daraufhin den V als Vorstand der Mutter-AG auf Schadensersatz. Denn er habe wegen der fehlenden Zustimmung des Aufsichtsrats der Mutter-AG pflichtwidrig gehandelt. Die ersten Instanzen (Handelsgericht Wien und das OLG Wien) wiesen die Klage ab. Anders der OGH (Beschluss vom 25. November 2020 – 6 Ob 209/20h).

    Der OGH bejaht den Anspruch der Mutter-AG gegen den V in seiner Funktion als Mitglied ihres Vorstands. Dieser habe eine Konzernleitungspflicht. Die sei nicht auf ein allgemeines Konzerninteresse ausgerichtet; vielmehr richte sie sich nach dem Interesse und der Bedeutung des Geschäfts der Konzerngesellschaft für die Muttergesellschaft. Parallel dazu besteht nach der Sicht des OGH eine Konzernüberwachungspflicht des Aufsichtsrats der Mutter-AG. Damit diese effektiv ausgeübt werden könne, bestehe zum einen eine Informationspflicht des Vorstands gegenüber dem Aufsichtsrat über konzernrelevante Sachverhalte und zum anderen die Pflicht des Aufsichtsrats zur Kontrolle des Vorstands bei Geschäften in Konzerngesellschaften. Zustimmungsvorbehalte bei der Mutter-AG gelten nach Sicht des OGH konzernweit. Die Zustimmung des Aufsichtsrats der Mutter-AG für Geschäfte in Tochtergesellschaften sei erforderlich, wenn sie für die Mutter-AG von erheblicher Bedeutung seien.

    Diese Bedeutung bejaht der OGH im streitgegenständlichen Fall. V habe wegen seiner Doppelfunktion bei Mutter- und Tochter-AG in beiden Gesellschaften vor dem Geschäft die Zustimmung beider Aufsichtsräte einholen müssen. Hätte der Aufsichtsrat der Tochter-AG seine Zustimmung verweigert, hätte ihr Vorstand den Letter of Comfort nicht abgeben dürfen. Hätte der Aufsichtsrat der Mutter-AG die Zustimmung verweigert, hätte V als Vorstand der Mutter-AG bei der Tochter-AG darauf hinwirken müssen, dass die Tochter-AG den Letter of Comfort nicht abgibt. Nicht zu befassen brauchte sich der OGH mit der Frage, wie der V juristisch bei der T-AG (einer juristisch selbständigen Gesellschaft unter eigenständiger Leitung des Vorstands) die Nicht-Abgabe des Letter of Comfort hätte durchsetzen können; denn V war offenbar alleiniges Vorstandsmitglied. Anerkannt ist, dass auch rechtlich unverbindliche Weisungen ein maßgebendes Element der Konzernsteuerung sein können. Die darf der Vorstand der Konzerngesellschaft auch nach deutschem Recht im Grundsatz (Ausnahme zB Eigenkapitalerhaltung, fehlende Rücksichtnahme auf die Eigeninteressen der Tochter) auch beachten, muss es juristisch aber nicht. Das folgt auch aus dem Grundsatz des § 311 AktG, wonach das herrschende Unternehmen (nur) bei nachteiligen Veranlassungen der Tochter-AG zum Ausgleich verpflichtet ist.

    Eine weitere Facette der Entscheidung des OGH betrifft die Pflicht des Aufsichtsrats der Konzernobergesellschaft: Er muss hinreichende Zustimmungsvorbehalte dafür implementieren, dass sich juristisch in Konzerngesellschaften abspielende Geschäfte und Maßnahmen ihm vorzulegten sind, wenn sie von grundlegender Bedeutung bei der Obergesellschaft sind. Es gibt nach dem OGH keinen Automatismus, dass Zustimmungspflichten in der Untergesellschaft auch in der Obergesellschaft gelten. Vielmehr komme es auf die Bedeutung des Geschäfts bei der Obergesellschaft an. Der OGH schreibt, es beurteile sich nach dem Zweck des Vorbehalts sowie der Bedeutung der Maßnahme, ob durch Auslegung die Erstreckung eines für die Muttergesellschaft geltenden Zustimmungsvorbehalts auf sich in Konzerngesellschaften abspielende Sachverhalte geboten sei; er bejaht dies, wenn ein Sachverhalt „unmittelbare wirtschaftliche (finanzielle/strategische) oder sonstige relevante Auswirkungen auf die Muttergesellschaft und den Konzern hat“. Ausdrückliche Zustimmungsvorbehalte seien nicht immer nötig. Der OGH warnt Vorstandsmitglieder: Zwar werde empfohlen, in der Obergesellschaft Zustimmungsvorbehalte für Konzerngesellschaften ausdrücklich zu regeln; „es wird aber auch davon ausgegangen“, dass Zustimmungsvorbehalte in der Obergesellschaft ohne eine solche ausdrückliche Regel „konzernweite Wirkung entfalten (können)“. Es sei nämlich nicht anzunehmen, dass Satzungsgeber und/oder Aufsichtsrat der Obergesellschaft zwar bestimmte Arten von Geschäften in der Konzernobergesellschaft ihrer Zustimmung unterwerfen – aber keinen Einfluss auf gleichartige Geschäfte in verbundenen Unternehmen nehmen wollten. Denn auch ohne Bestehen eines Haftungsverbundes schlage wirtschaftlicher (Miss-) Erfolg eines verbundenen Unternehmens auf die Lage der Obergesellschaft durch und könne diese gravierend beeinflussen.

    Das bringt eine gravierende Haftungsverschärfung von Vorstandsmitgliedern einer Konzern-Obergesellschaft mit sich. Die müssen bei jedem Geschäft innerhalb des Konzerns sorgfältig überprüfen, ob es dem Aufsichtsrat der Obergesellschaft vorzulegen und ggf. die vorherige Zustimmung abzuwarten ist. Das bedingt zudem, dass sie das Geschäft der Konzerngesellschaften sorgfältig überwachen.

    In einer Besprechung der Entscheidung wies Alexander Mock (Universitätsprofessor an der Wirtschaftsuniversität Wien, EWiR 2021, 745) auf die berechtigte Akzentuierung der Konzernleitungspflicht des Vorstands der Muttergesellschaft hin, mit der die Konzernüberwachungspflicht des Aufsichtsrats korrespondiere. Beteiligungen der Muttergesellschaft an Tochtergesellschaften bedürften nämlich wie andere ihrer Vermögensgegenstände einer sorgfältigen Verwaltung. Leitungs- und Überwachungspflichten müssten sich am Interesse und der Bedeutung des Geschäfts in der Untergesellschaft für die Obergesellschaft ausrichten. Mock geht mit allem Recht davon aus, dass die österreichische Entscheidung den Blick auf die Leitungspflichten im Unternehmensverbund auch in Deutschland schärfen müsste. Es ist naheliegend, dass auch die deutschen Gerichte die vom OGH entwickelten Grundsätze aufgrund ihrer Ausgewogenheit auf das deutsche Konzernrecht einschließlich des Organ-Haftungsrechts übertragen werden.

    Dr. Thomas Heidel

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 1/24

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