Newsletter
Schlechte Zeiten für die AG? Gehaltskürzung für den Vorstand!
Verschlechtert sich nach der Festsetzung der Vorstandsbezüge die Lage der AG und ist die Fortzahlung im bisherigen Umfang für die Gesellschaft „unbillig“, ist der Aufsichtsrat dazu berechtigt und in der Regel sogar dazu verpflichtet, die Vergütung des Vorstands einseitig herabzusetzen. Von einer derartigen Verschlechterung der Lage ist spätestens dann auszugehen, wenn die Gesellschaft insolvenzreif wird. Macht der Aufsichtsrat von der Herabsetzungsmöglichkeit keinen Gebrauch, kann er sich sogar selbst Haftungsansprüchen ausgesetzt sehen.
Im Zuge der Finanzkrise ab 2007 erregte die Gemüter, dass einige Banken ihren Vorstandsmitgliedern hohe Gehälter und Boni zahlten, obgleich Milliardenverluste zu verzeichnen waren, die Dividenden ausfielen und Mitarbeiter entlassen werden mussten. Das rief auch den Gesetzgeber auf den Plan. Zwar sah die Vorschrift des § 87 Abs. 2 AktG bereits seit Jahrzehnten die Möglichkeit vor, die Vorstandsvergütung unter bestimmten Bedingungen zu reduzieren. Die Vorschrift war aber angesichts der relativ hohen Eingriffsvoraussetzungen weitgehend totes Recht. Das am 5. August 2009 in Kraft getretene Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung dreht an mehreren Stellschrauben: Die Verschlechterung der Verhältnisse musste anders als zuvor nun nicht mehr „wesentlich“ sein, die aus der unveränderten Fortzahlung resultierende Unbilligkeit nicht mehr „schwer“. Zugleich wurde § 87 Abs. 2 AktG als Sollvorschrift ausgestaltet. Die praktische Bedeutung von § 87 Abs. 2 AktG hat sich damit beträchtlich erhöht. Inzwischen hat ein erster Fall den BGH erreicht. Dessen Entscheidung vom 27. Oktober 2015 (Az: II ZR 296/14) klärt eine Reihe für die Praxis wichtiger Auslegungsfragen:
Dabei geht der BGH zunächst davon aus, dass die von § 87 Abs. 2 AktG vorausgesetzte Verschlechterung der Lage der Gesellschaft jedenfalls dann anzunehmen ist, wenn diese insolvenzreif wird. Unbillig ist die Fortzahlung der Bezüge nach der Auffassung des BGH dann, wenn der Vorstand die Verschlechterung entweder pflichtwidrig mit herbeigeführt hat oder sie zumindest in die Zeit seiner Vorstandsverantwortung fällt und ihm zurechenbar ist. Bei der Prüfung dessen, was angesichts der verschlechterten Lage als angemessene Vergütung anzusehen ist, sind sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, so etwa der Umfang der Verschlechterung der Lage seit Vereinbarung der Vergütung, die Verursachungsbeiträge des betreffenden Vorstandsmitglieds, ohnehin eintretende Gehaltseinbußen aufgrund variabler Vergütungsbestandteile, daneben aber auch, was dem Vorstandsmitglied angesichts seiner individuellen persönlichen Verhältnisse überhaupt zugemutet werden kann. Genauso ist die (ggfs.) weiterhin vom betroffenen Vorstandsmitglied zu erbringende Tätigkeit und deren Nutzen für die Gesellschaft zu berücksichtigen. Ob danach auch eine Herabsetzung der Bezüge auf Null in Betracht kommt, lässt der BGH offen. Die Vergütungsreduktion ist aber jedenfalls nicht durch das Gehaltsniveau der leitenden Angestellten unterhalb der Vorstandsebene beschränkt. Eine Herabsetzung der Vergütung kann, wie der BGH klarstellt, zudem auch für die Zeit nach der Insolvenzeröffnung erfolgen. Dem steht nicht entgegen, dass der Insolvenzverwalter nach der Insolvenzeröffnung ohnehin die Möglichkeit hat, den Vorstandsdienstvertrag unabhängig von der vertraglich vorgesehenen Laufzeit mit dreimonatiger Frist zu kündigen (§ 113 InsO). Denn die Vergütungsreduktion behält auch bei einer solchen Kündigung selbständige Bedeutung, weil sie den Vergütungsanspruch reduziert, den das Vorstandsmitglied während der dreimonatigen Kündigungsfrist als Masseforderung geltend machen kann; zudem verringert sich der Schadensanspruch, den es nach §§ 113 S. 3 InsO, 87 Abs. 3 AktG aufgrund der vorzeitigen Beendigung seines Anstellungsvertrages als Insolvenzforderung zur Tabelle anmelden kann. Ungeklärt bleibt allerdings die umstrittene Frage, ob für die Entscheidung über die Reduktion nach der Insolvenzeröffnung der Aufsichtsrat oder Insolvenzverwalter zuständig ist, weil sie im Fall des BGH nicht entscheidungserheblich war.
Die Rechte des betroffenen Vorstandsmitglieds werden dadurch geschützt, dass die Herabsetzung seiner Bezüge dem Grunde und der Höhe nach gerichtlich überprüfbar ist, wobei das Gericht sämtliche Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen und gegeneinander abzuwägen hat. Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen der Vergütungsreduktion trägt die Gesellschaft. Den Aufsichtsrat stellt § 87 Abs. 2 AktG vor die Herausforderung, sich bei jeder signifikanten Verschlechterung der Lage der Gesellschaft - spätestens aber im Vorfeld der Insolvenz - mit der Möglichkeit einer Vergütungsreduktion nach dieser Vorschrift auseinanderzusetzen. Denn ihn trifft, wie der BGH festhält, bei Vorliegen der Eingriffsvoraussetzungen grundsätzlich die Pflicht, von der Reduktionsmöglichkeit Gebrauch zu machen („soll…herabsetzen“). Um zu vermeiden, später selbst auf Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden, ist daher eine sorgfältige Prüfung geboten, die auch angemessen dokumentiert werden sollte.
In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 4/16
Drucken | Teilen