Meilicke Hoffmann und Partner - Anwaltskanzlei Bonn

    Newsletter

    Sonderprüfung bei VW: Chance auf Licht im Abgas-Dschungel

    Kaum ein Rechtszweig ist vom „Abgasskandal“ unberührt. Autokäufer und Leasingnehmer klagen gegen VW, Händler und Rechtsschutzversicherungen. Anleger verlangen Schadensersatz wegen verspäteter Information des Kapitalmarkts. Das BVerfG entscheidet über die Zulässigkeit staatsanwaltschaftlicher Verwertung interner Ermittlungen durch Anwälte. Alle Kläger haben ein wesentliches Problem: Den Mangel an Information. Einen großen Schritt in Richtung Aufklärung leistete kürzlich das Oberlandesgericht Celle. Es ordnete eine umfassende Sonderprüfung an, ob Vorstand und Aufsichtsrat von VW seit 2006 ihre Pflichten verletzt und VW einen Schaden zugefügt haben, insbesondere wann der Vorstand erstmals Kenntnis von der „Abgasthematik hatte oder hätte haben müssen“ und ob er gegen Ad hoc-Pflichten verstieß. Wenn der Prüfer mit seiner Arbeit fertig ist, wird sein Bericht öffentlich.

    Die Einsetzung des Sonderprüfers war noch auf der VW-Hauptversammlung 2016 gescheitert. VW verwies zur Abwehr des Beschlusses u.a. auf eine interne Untersuchung der US-Kanzlei Jones Day. Über eine Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen Organmitglieder ist nichts bekannt. Der renommierte Bonner Gesellschaftsrechtsprofessor Markus Lutter fragte schon vor einem Jahr: Wann verklagt der VW-Aufsichtsrat den Vorstand auf Schadensersatz zugunsten der VW AG (vgl. Newsletter 11/16) Lehnt, wie bei VW, die Hauptversammlung die Einsetzung eines Sonderprüfers ab, können ihn die Gerichte einsetzen. Dann müssen Tatsachen den Verdacht rechtfertigen, dass es bei dem zu prüfenden Vorgang Unredlichkeiten oder grobe Gesetzesverletzungen gab. Erstinstanzlich zuständig ist das Landgericht am Sitz der Gesellschaft. Gegen seine Entscheidung können Antragsteller und Gesellschaft Beschwerde zum Oberlandesgericht einlegen. Die Rechtsbeschwerde zum BGH ist an die Zulassung durch das Oberlandesgericht gebunden.

    VW-Aktionäre zogen daher vor das Landgericht Hannover. Dieses lehnte die Sonderprüfung ab (Beschluss 23.06.2017, Az.: 15 O 28/16). Es bejahte zwar die formalen Voraussetzungen für den Antrag (insbesondere Aktienbesitz entsprechend nominal € 100.000). Zudem verneinte es Rechtsmissbrauch, auch vor dem Hintergrund eines von den Antragstellern nach dem KapMuG betriebenen Verfahrens (Vorlagebeschluss des Landgerichts Braunschweig vom 05.08.2016, Az.: 5 OH 62/16, zum Oberlandesgericht Braunschweig, Az.: 3 Kap 1/16). Vorteile der Antragsteller, die die Sonderprüfung herbeiführe, begründeten keinen Rechtsmissbrauch. Mit kräftigen Worten bejahte das Landgericht auch die materielle Voraussetzung für die Sonderprüfung: Es lägen ausreichend Tatsachen für den Verdacht von Unredlichkeiten und groben Gesetzesverletzungen vor. Der VW-Abgas-Skandal sei ein besonders schwerer, wenn nicht sogar der schwerste Skandal in der Wirtschaftsgeschichte Deutschlands. Das gelte unabhängig davon, ob der Einbau der „defeat device“ tatsächlich, wie von VW behauptet, von deren Organen über 10 Jahre hinweg unentdeckt geblieben sei oder ob die Organe doch Kenntnis gehabt haben; dadurch sei „weltweit ein Schaden großen Ausmaßes entstanden“. Daraus ergebe sich die „zwingende Folge“: Entweder wären die VW-Organe eingeweiht gewesen oder verantworteten schwerwiegende Compliance-Versäumnisse. Das Gericht machte dann aber eine erstaunliche Kehrtwende: Unter Berufung auf Erwägungen des Gesetzgebers lehnte es die Sonderprüfung wegen Unverhältnismäßigkeit ab. Es gebe staatsanwaltliche Ermittlungen. Staatsanwaltschaften ständen einem Sonderprüfer überlegene Zwangsmittel zur Verfügung, wie Durchsuchungen und Beschlagnahmen auch im privaten Bereich von Gegenständen. Das Hannoveraner Gericht hielt es unter Verweis darauf für „zweifelhaft“, ob ein Sonderprüfer einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn erreichen könne. Dies gelte zumal vor dem Hintergrund der eingeschränkten Auskunftsrechte eines Sonderprüfers; deren Wert „dürfte“ umso geringer zu bewerten sein, als „fraglich“ sei, welche Unterlagen VW dem Sonderprüfer noch zur Verfügung stellen könne. Tragender Grund der Ablehnung der Sonderprüfung sei, dass infolge Zeitablaufs nach der Hauptversammlung die staatsanwaltlichen Beschlagnahmen eine auf den Bereich von VW beschränkte Sonderprüfung „nicht mehr sinnvoll durchgeführt“ werden könne; wegen des Ausmaßes und des Umfangs der notwendigen Ermittlungen „dürfte eine rein interne Prüfung bei (VW) auch nicht zielführend sein“.

    Die klagenden Aktionäre wandten sich daher an das Oberlandesgericht Celle. Dieses ordnete die Sonderprüfung an (Beschluss 08.11.2017, Az.: 9 W 86/17). Die Rechtsbeschwerde ließ es nicht zu. Im selben Verfahren wies es am 23.11.2017 eine weitere Beschwerde von VW zurück; VW rügte darin Verfahrensfehler und wollte erreichen, dass sich der Bundesgerichtshof mit der Sache befasst. Damit ist die Anordnung der Sonderprüfung rechtskräftig.

    Das Oberlandesgericht vermeidet die Äußerung grundlegender Kritik an der Sicht des Landgerichts zur angeblichen Unverhältnismäßigkeit der Sonderprüfung. Stattdessen stellt es auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur vorläufigen Unverwertbarkeit der internen Unterlagen von Jones Day ab, die die Staatsanwaltschaft beschlagnahmte (Beschluss vom 25.07.2017, Az.: 2 BvR 2387, 1583, 1405 und 1562/17). In den nächsten Monaten könnten daher die Unterlagen nicht verwertet werden. Somit könnten die Staatsanwaltschaften keine Erkenntnisse vermitteln, die die Bestellung eines Sonderprüfers entbehrlich machten. Eine Sonderprüfung könne für die betroffene Gesellschaft zwar mit erheblichen Nachteilen verbunden sein. Dieser Gefahr trage das Gesetz aber Rechnung, indem die gerichtliche Sonderprüfung einen qualifizierten Verdacht erfordere. Es gebe keinen Grundsatz, „dass eine Sonderprüfung immer schon dann ausgeschlossen ist, wenn Interessen der Gesellschaft entgegenstehen“. Es komme auch nicht auf die Sicht der Aktionärsmehrheit an. Das Aktiengesetz gewährleiste ein durchsetzbares Recht der Minderheit. Es sei nicht hinnehmbar, dass sich VW „zur Rechtfertigung ihrer andauernden Intransparenz auf mutmaßliche Folgen beruft, die im rechtswidrigen Verhalten ihrer eigenen Mitarbeiter gründen“. Das Gericht versteht den Vortrag von VW so, „dass auch in den nächsten Jahren nicht mit der Herstellung von Transparenz gerechnet werden“ könne. Mit nur internen Ermittlungen sei dem Interesse der Aktionäre nicht gedient. Das gelte insbesondere mit Blick auf die Minderheit. Deren Schutz habe das Gesetz zum Ziel. Hinzu komme, dass VW die Inhalte des Auftrags an Jones Day nicht offenbare. Daher sei nicht zu ermessen, was Umfang der internen Prüfung sei und inwieweit VW auf die Formulierung von deren Ergebnissen Einfluss nehmen könne.

    Dr. Thomas Heidel

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 9/17

    Drucken | Teilen