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    Übernahmesituation dringender Fall für gerichtliche Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern

    Eine Übernahmesituation begründet einen wichtigen Grund für eine gerichtliche Bestellung von Mitgliedern eines Aufsichtsrats. Das Gericht muss seine Entscheidung am Interesse der Gesellschaft orientieren. Bei seiner Auswahlentscheidung soll es dem Personalvorschlag von Vorstand und verbliebenen Aufsichtsratsmitgliedern folgen können, obgleich die Hauptversammlung kurz zuvor knapp die Hälfte der Aufsichtsratsmitglieder abgewählt hat. Das hat jüngst das OLG Frankfurt entschieden – unter Kritik in der Literatur.

    Die Entscheidung des Oberlandesgerichts (Beschluss vom 13.01.2022, 20 W 5/22) betrifft die Aareal Bank AG mit Sitz in Wiesbaden, was man seiner Entscheidung leicht entnehmen kann. Um die Bank „balgen“ sich Investoren, wie es im „Manager-Magazin“ heißt; auch sonst finden sich in den Medien zahlreiche Berichte über den Streit um die Bank. Für diese hatte ein Investor ein Übernahmeangebot abgegeben. Der 12-köpfige Bank-Aufsichtsrat ist drittelparitätisch besetzt, d.h. vier der Mitglieder sind Arbeitnehmervertreter. Die Hauptversammlung berief drei der acht AR-Mitglieder der Anteilseigner im Dezember 2021 ab. Der Vorschlag zur Neubesetzung fand indessen keine Mehrheit. Daher blieben die drei Positionen vakant. Für solche Konstellation ermöglicht das Aktiengesetz eine gerichtliche Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern. Einschreiten kann das Gericht auf entsprechenden Antrag in drei Konstellationen: Der Aufsichtsrat ist nicht beschlussfähig oder ihm gehören mehr als drei Monate weniger Mitglieder an, als durch Gesetz oder Satzung festgesetzt – diese beide Fälle waren bei der Aareal Bank nicht einschlägig. Einschreiten kann das Gericht aber auch in „dringenden Fällen“. Das Gesetz definiert allerdings nicht, was darunter zu verstehen ist. Gerichte beschränken die Bestellung typischerweise bis zur nächsten (ordentlichen) Hauptversammlung der Gesellschaft, obgleich das Gesetz eine solche Befristung nicht vorschreibt.

    Für die Besetzung der drei vakanten Positionen im Fall des OLG Frankfurt gab es zwei gegensätzliche Anträge: Der Aufsichtsratsvorsitzende hatte (unterstützt von Vorstand und den verbliebenen Aufsichtsratsmitgliedern) den einen Antrag gestellt; damit konkurrierte ein Aktionärsantrag, der augenscheinlich eine Nähe zu dem Investor hatte, der das Übernahmeangebot abgegeben hatte. Beide Anträge bejahten das Vorliegen eines „dringenden Falls“ für die gerichtliche Bestellung.

    Das erstinstanzlich für solche Anträge zuständige Amtsgericht (Registergericht) verneinte den dringenden Fall. Seine Sicht wies das Oberlandesgericht mit recht deutlicher Diktion zurück. Die vom Amtsgericht dargelegten Gründe träfen „ersichtlich“ nicht zu. Ein Übernahmeangebot begründe typischerweise einen dringenden Fall. Dabei handele sich nämlich um eine für die Zukunft des Unternehmens richtungsweisende Entscheidung. Die dazu durch den Aufsichtsrat zu treffenden Entscheidungen und die Überwachung der Geschäftsführung während des Übernahmeverfahrens erforderten nicht bloß einen beschlussfähigen Aufsichtsrat – der im Fall der Bank vorlag. Vielmehr müsse dieser in seiner kompletten Stärke sowie nach der Parität besetzt sein. Das gelte für das gesamte Übernahmeverfahren. Daran ändere sich auch nichts dadurch, dass die Entscheidung über die Annahme eines Übernahmeangebots ausschließlich den Aktionären obliege, nicht aber der AG oder ihren Organen.

    Bis hierhin ist die Sicht des Oberlandesgerichts gut begründet. Das hat allerdings weniger mit der Übernahmesituation zu tun als mit dem Prinzip der Drittel-Parität zwischen Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer. Aufsichtsräten obliegen nicht nur mannigfaltige Aufgaben, die im aktienrechtlichen Gefüge essenziell für eine funktionierende und gesunde Gesellschaft sind. Sie spiegeln auch die Aktionärsstruktur wider und sind Zentrum der Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Dementsprechend besteht ein veritables Interesse daran, dass das Kollegialorgan in seiner vollen Stärke besetzt ist. Die Vertreter der Arbeitnehmer waren im Fall des OLG Frankfurt nach der Abwahl der Aufsichtsratsmitglieder fast gleichauf mit den Vertretern der Anteilseigner. Das widerspricht dem Prinzip der Drittel-Parität. Daher gibt es keinen durchschlagenden Grund, an dem „dringenden Fall“ für die gerichtliche Bestellung zu zweifeln.

    Zweifelhaft ist aber die Auswahlentscheidung des Oberlandesgerichts. Gerichte müssen bei der Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern eine eigene Ermessensentscheidung treffen, wen sie zum Mitglied des Aufsichtsrats bestellen. Die Entscheidung haben sie pflichtgemäß zu fällen. Das Oberlandesgericht schreibt, die Entscheidung habe sich „vor allem am Interesse der Bank zu orientieren, bzw. (es) dürfen der Bestellung keine überwiegenden Belange der Bank entgegenstehen“. Zu beachten sind dabei geradezu selbstverständlich auch gesetzliche oder satzungsmäßige Vorgaben für die AR-Zusammensetzung, bei AR Mitgliedern einer Bank auch solche nach dem Kreditwesengesetz. Das Gericht ist bei seiner Auswahlentscheidung nicht beschränkt auf die Vorschläge, die ihm unterbreitet werden. Es kann auch dritte (neutrale) Kandidaten zu AR Mitgliedern bestimmen.

    Das Oberlandesgericht ging indessen nicht diesen Weg. Es stellte entscheidend darauf ab, dass der Aufsichtsratsvorsitzende einen von den restlichen Aufsichtsratsmitgliedern und dem Vorstand unterstützten Vorschlag gemacht hat, das habe „entscheidendes Gewicht“. Worauf das „Gewicht“ beruhen soll, sagt das Gericht jedoch nicht. Die Kandidaten des opponierenden Aktionärs lehnt es ab. Denn diese seien ja schon in der Hauptversammlung nicht gewählt worden (allerdings verfehlten sie die Mehrheit recht knapp).

    In der Literatur (Fuhrmann, EWiR 2022, 103) begegnet die Argumentation des Oberlandesgerichts deutlichem Widerspruch. Vermisst wird mit Recht eine Auseinandersetzung mit der Qualifikation der Kandidaten. Auf den Vorstand abzustellen verbiete sich: Dieser dürfe sich seine Kontrollinstanz nicht mittelbar selbst aussuchen. Das ermögliche man ihm aber, wenn man seiner Unterstützung eines Wahlvorschlags „entscheidendes Gewicht“ beimesse. Der Vorstand darf auch in der Hauptversammlung keine Vorschläge für die Aufsichtsratswahl unterbreiten. Das müsste bei der gerichtlichen Bestellung bedacht werden. Auch hätte das Oberlandesgericht die im Prozess offenbar näher aufgezeigte Gefahr von Interessenskonflikten der von ihm Bestellten berücksichtigen müssen. Und last but not least hätte das Oberlandesgericht mehr Skepsis gegenüber den vom Aufsichtsratsvorsitzenden vorgeschlagenen und von den verbliebenen AR-Mitgliedern der Anteilseigner unterstützten Kandidaten walten lassen müssen, zumal in der Hauptversammlung fast die Hälfte der Anteilseignervertreter abgewählt worden war, weshalb erhebliche Zweifel an der bisherigen Tätigkeit des Aufsichtsrats bestünden.

    Die Entscheidung des Oberlandesgerichts gibt Anlass, daran zu erinnern, dass Gerichte - zumal bei mehreren Personalvorschlägen - bei der gerichtlichen Bestellung von AR-Mitgliedern stets im Sinne des Gesellschaftsinteresses nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden müssen. Diesen Grundsatz nennt das Gericht zwar, aber das scheint nicht viel mehr als ein Lippenbekenntnis zu sein. Pattsituationen im Sinne einer Seite zu entscheiden, widerspricht der Aufgabe des Gerichts. Folgt es wie hier dem Bestellungsvorschlag der Aufsichtsratsmitglieder, deren Kollegen die Hauptversammlung kurz zuvor abgewählt hatte, konterkariert es mittelbar die Entscheidung der Hauptversammlung. Gerichte tun in solchen Situationen gut daran, neutrale Kandidaten zu bestellen. Sonst nehmen sie faktisch der Entscheidung der Hauptversammlung zur Abwahl von Aufsichtsratsmitgliedern die Wirkung.

    Dr. Thomas Heidel /Philipp Trapp, wiss. Mitarbeiter

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 5/22

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