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Wirecard-Aktionäre haben keinen Schadensersatzanspruch gegen die BaFin
Die Amtshaftungskammer des Landgerichts (LG) Frankfurt am Main hat am 19.01.2022 vier Klagen (Az. 2-04 O 65/21, 2-04 O 531/20, 2-04 O 561/20, 2-04 O 563/20) von Anlegern der Wirecard AG gegen die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) abgewiesen und folgt damit einer Entscheidung der 8. Zivilkammer des LG Frankfurt am Main vom 05.11.2021 (2-08 O 98/21), die eine Klage eines Anlegers von Wirecard-Aktien gegen die BaFin ebenfalls abgewiesen hatte und gegen die mittlerweile Berufung eingelegt wurde.
Die Kläger hatten vor dem sogenannten Wirecard-Skandal zum Zweck der Kapitalanlage Aktien der Wirecard AG gezeichnet. Als Folge der Insolvenz des Unternehmens Mitte des Jahres 2020 erlitten sie erhebliche Verluste. In ihren Klagen machten sie Schadensersatzansprüche gegen die BaFin in unterschiedlicher Höhe (von rund 3.000 € bis rund 60.000 €) geltend. Sie begründeten ihre Klagen damit, dass die BaFin die Marktmanipulationen und Bilanzfälschungen von Wirecard nicht verhindert und die Öffentlichkeit nicht im ausreichenden Maße informiert hätte. Zudem sei die Behörde Hinweisen auf Gesetzesverstöße der Wirecard AG, wie sie insbesondere massiv in der Financial Times publiziert wurden, nicht genügend nachgegangen.
Das Landgericht Frankfurt entschied nun aber erstinstanzlich, dass Schadensersatzansprüche gegen die BaFin nicht bestünden. Aus § 4 Absatz 4 Finanzdienstleistungsgesetz (FinDAG) gehe ausdrücklich hervor, dass die Bundesanstalt ihre Aufgaben und Befugnisse nur im öffentlichen Interesse wahrnehme und nicht im Interesse einzelner Anleger. Eine mögliche Amtspflichtverletzung der BaFin könne nicht zu einer Ersatzpflicht gegenüber einem geschädigten Anleger führen, da ein sog. „Drittschutz“ nicht bestehe.
Eine Haftung der BaFin wegen ihrer mangelhaften Aufsicht der Wirecard-AG käme in vorliegender Konstellation vordergründig in Gestalt des Amtshaftungsanspruchs gemäß § 839 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Verbindung mit Art. 34 Grundgesetz (GG) in Betracht. Dafür muss eine, einem Dritten gegenüber obliegende, Amtspflicht verletzt sein. Gemäß dem eindeutigen Wortlaut des § 4 Absatz 4 FinDAG nimmt die BaFin ihre Aufgaben und Befugnisse aber nur im öffentlichen Interesse wahr. Der Schutz des einzelnen Gläubigers oder Anlegers ist gesetzlich nicht beabsichtigt und tritt, wenn überhaupt, nur als Rechtsreflex ein. Eine Drittbezogenheit bzw. ein beabsichtigter Drittschutz der im Interesse der Allgemeinheit statuierten Amtspflicht liegt dementsprechend nicht vor.
Dies ist laut einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) auch europarechtskonform. Im Rahmen eins Vorlageverfahrens zur Vorgängernorm des § 4 Abs. 4 FinDAG (§ 6 Abs. 3 und 4 Kreditwesengesetz alter Fassung [KWG a.F.]) entschied er, dass es nicht gegen Richtlinien der EU verstoße, wenn Maßnahmen der Bank- und Finanzdienstleistungsaufsicht nicht im Interesse Einzelner ergehen, um ihnen bei unzureichender Ausübung der Aufsicht Amtshaftungsansprüche zu gewähren (EuGH, Urteil vom 12. Oktober 2004 – Rs C-222/02 = NJW 2004, 3479).
Der BGH geht von der Grundrechtskonformität des § 4 Abs. 4 FinDAG aus (BGH, Urteil vom 20. Januar 2005 – III ZR 48/01). Nur in Ausnahmefällen sei trotz der Wahrnehmung der Amtspflicht im Interesse der Allgemeinheit eine Amtshaftung denkbar, wenn ein „Amtsmissbrauch“ vorliege. Die Voraussetzungen dafür liegen jedoch sehr hoch und belastbare Anhaltspunkte mit Blick auf den Wirecard-Bilanzskandal, die einen solchen Amtsmissbrauch begründen und eine Amtshaftung der BaFin auslösen würden, liegen derzeit nicht vor. Sollten sich solche doch noch ergeben, könnten Schadensersatzansprüche wegen des im Jahr 2020 aufgetretenen Schadensfalls noch bis zum 31. Dezember 2023 geltend gemacht werden.
Dr. Gerd Krämer / Rechtsreferendarin Andreea Pocnejer
In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 1/22
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