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    Zahlungen nach Insolvenzreife - die „Limited“ schützt vor Haftung nicht

    Die Wahl ausländischer Rechtsformen für in Deutschland ansässige Unternehmen ist nach wie vor beliebt. Erbringen die Geschäftsleiter derartiger (Schein-) Auslandsgesellschaften aber Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife, haften sie dafür nicht anders als ein GmbH-Geschäftsführer nach § 64 S. 1 GmbHG. Sie können sich also nicht darauf berufen, dass die ausländische Rechtsordnung, nach der die Gesellschaft gegründet ist, keine entsprechenden Haftungsregeln vorsieht.

    Lange Zeit galt im deutschen Recht der unangefochtene Grundsatz: Wer eine Gesellschaft gründen will, die in Deutschland ihren Verwaltungssitz haben soll, der muss auch eine deutsche Rechtsform wählen. Wer trotzdem z.B. eine private limited company einsetzte, obgleich der Tätigkeitsort der Geschäftsleitung (d.h. der Verwaltungssitz) in Deutschland lag, hatte mit ernsten Konsequenzen zu rechnen: Die deutschen Gerichte brachten auf derartige (Schein-)Auslandsgesellschaften nämlich das deutsche Gesellschaftsrecht zur Anwendung, nach dessen Vorgaben die Gesellschaft schon mangels Registereintragung nicht wirksam als GmbH oder AG entstanden sein konnte. Die Gesellschafter der Limited hafteten daher für alle im Namen der Gesellschaft begründeten Verbindlichkeiten persönlich. In einer Reihe viel beachteter Entscheidungen aus den Jahren 1999 bis 2003 („Centros“, „Überseering“; „Inspire Art“) hat der EuGH diese Praxis für europarechtswidrig erklärt, weil es mit der Niederlassungsfreiheit unvereinbar sei, auf diese Weise den Zuzug von Gesellschaften aus dem EU-Ausland zu verhindern. Damit waren die deutschen Gerichte gehalten, auch Auslandsgesellschaften mit inländischem Verwaltungssitz nach dem Gesellschaftsrecht ihres Gründungsstaates als wirksam entstanden zu behandeln. Seitdem erfreuen sich Auslandsgesellschaften mit deutschem Verwaltungssitz großer Beliebtheit, sei es zur Umgehung der unternehmerischen Mitbestimmung oder wegen (vermeintlicher) Kostenvorteile.

    Nicht wenige der neu gegründeten (Schein-)Auslandsgesellschaften fanden sich allerdings schon nach kurzer Zeit in der Insolvenz wieder. Hatte die Gesellschaft ihren Interessenmittelpunkt in Deutschland, fällt das Insolvenzverfahren nach der Europäischen Insolvenzverordnung (EuInsVO) in die Zuständigkeit der deutschen Gerichte und richtet sich nach deutschem Insolvenzrecht. Anwendbares Gesellschaftsrecht (Recht des Gründungsstaats) und Insolvenzrecht (Recht des Staats am Interessenmittelpunkt) fallen damit auseinander, was praktisch bedeutsame Abgrenzungsfragen aufwirft. Dies gilt etwa für die Frage, ob z.B. der Geschäftsführer (director) einer in Deutschland ansässigen englischen private limited company nach § 64 Abs. 1 GmbHG für Zahlungen nach Eintritt der Insolvenzreife haftet. Diese Frage ist zu bejahen, wenn man die Vorschrift zu dem nach Art. 4 EuInsVO (seit 20.05.2015: Art. 7 EuInsVO) anwendbaren deutschen Insolvenzrecht rechnet und sie ist zu verneinen, wenn man sie dem (auf die limited grds. nicht anwendbaren) deutschen Gesellschaftsrecht zuschlägt.

    Auf Vorlage des BGH hat der EuGH nun im erstgenannten Sinn entschieden. Dabei orientiert er sich nicht am formalen Standort der Norm in einem bestimmten Gesetz, sondern an funktionalen Gesichtspunkten. Obgleich die Haftung nach § 64 S. 1 GmbHG kein eröffnetes Insolvenzverfahren voraussetzt, besteht unter funktionalen Gesichtspunkten nämlich ein starker Insolvenzbezug: Denn Tatbestandsvoraussetzung ist die materielle Insolvenz der Gesellschaft; zudem verfolgt § 64 S. 1 GmbHG den spezifisch insolvenzrechtlichen Zweck, für eine möglichst rechtzeitige Einleitung des Insolvenzverfahrens zu sorgen und damit auch die Gleichbehandlung aller Gläubiger sicherzustellen. Zugleich stellt der EuGH klar, dass mit der Anwendung von § 64 S. 1 GmbHG auf EU-Auslandsgesellschaften auch keine unzulässige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit einhergeht - anders als mit Vorschriften, die den Zuzug der Gesellschaft von vornherein unmöglich machen.

    Die Entscheidung des EuGH bringt für die Praxis wichtige Klarstellungen, deren Bedeutung über § 64 S. 1 GmbHG (und die aktienrechtliche Parallelvorschrift in § 92 Abs. 2 AktG) hinausgeht und die sich insbesondere auch auf die Insolvenzverschleppungshaftung nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO erstrecken dürfte. Auch im Hinblick darauf, dass (Schein-) Auslandsgesellschaften nicht selten auch für wenig seriöse oder zumindest von Anfang an unterfinanzierte Vorhaben eingesetzt worden sind, ist die Entscheidung des EuGH ein wichtiges Signal. Denn in derartigen Fällen wird die betreffende Gesellschaft vielfach sehr früh oder sogar von vornherein materiell insolvent sein. Die bei derartigen Gestaltungen mit der Rechtsformwahl angestrebte (vermeintlich kostengünstige) Haftungsabschirmung läuft damit ins Leere, weil sich die Anwendbarkeit der zum Schutz der Gläubiger geltenden Vorschriften des deutschen Rechts im Ergebnis nicht vermeiden lässt.

    Dr. Sebastian Schödel

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 2/16

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