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    „P&R Container“-Pleite: Geschäftsführerhaftung wegen Insolvenzverschleppung gegenüber Neugläubigern

    Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 23.07.2024 (Az. II ZR 206/22) eine wegweisende Entscheidung zum Thema Geschäftsführerhaftung wegen Insolvenzverschleppung getroffen. Im Zuge der Entscheidung hat sich der BGH von den Vorinstanzen gelöst und die Haftung des ausgeschiedenen Geschäftsführers bei Insolvenzverschleppung auch auf nach Amtsbeendigung entstandene Neugläubigerschäden ausgeweitet.

    Sachverhalt:

    In dem erstinstanzlich vor dem Landgericht München verhandelten Verfahren ging es um die Insolvenz von vier Vertriebsgesellschaften der „P-Gruppe“ an Kapitalanleger. Bei dieser Insolvenz der P&R Container-Gesellschaften handelt es sich um einen der großen Anlegerschadensfälle des letzten Jahrzehnts am grauen Kapitalmarkt (siehe https://de.wikipedia.org/wiki/P%26R-Gruppe). Unternehmensgegenstand der Gesellschaften waren der Vertrieb und die Verwaltung von Seefrachtcontainern. In diesem Zuge schlossen die Gesellschaften Kauf- und Verwaltungsverträge mit Anlegern, übereigneten die Container und gewährten einen garantierten Mietzins über die Dauer der vereinbarten Laufzeit. Zum Ende der Laufzeit sollte der vertraglich zugesprochene Rückkauf der Container stattfinden. Ab 2007 geriet das Modell in Schieflage und ließ sich nur noch aus neuem Anlegerkapital finanzieren. Es handelte sich also um ein „Schneeballsystem“. Zu Beginn des Jahres 2018 brach das System schließlich zusammen und mündete am 24.07.2018 in der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Der Erblasser der Beklagten war vom 20.2.2013 bis 27.6.2016 (Tag seiner Abberufung) Geschäftsführer von drei sowie vom 3.4.2013 bis 8.7.2016 Geschäftsführer auch der vierten Vertriebsgesellschaft. Am 13.6.2018 verstarb er.

    Die Klägerin schloss von Juli 2013 bis Juli 2016 insgesamt vier Anlageverträge mit zweien der Vertriebsgesellschaften, davon drei Verträge vor der Abberufung des Erblassers, den vierten danach. Wegen der erlittenen Schäden verklagte sie die Beklagte als Alleinerbin des Erblassers wegen Insolvenzverschleppung gemäß § 823 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Verbindung mit (i.V.m.) § 15a Insolvenzordnung (InsO), wegen sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB und aus Delikt wegen Betrugs gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Strafgesetzbuch (StGB) auf Schadensersatz in Höhe von 51.611,60 € (Investitionsbeträge abzüglich erhaltener Mietzahlungen). Das Landgericht München hatte den Ansprüchen nur hinsichtlich der drei vor der Abberufung des Erblassers als Geschäftsführers geschlossenen Anlageverträgen stattgegeben. Ansprüche in Bezug auf den vierten Anlagevertrag hatte das Gericht hingegen mit der Begründung abgelehnt, weil dieser erst nach Abberufung des pflichtwidrig handelnden Geschäftsführers zustande gekommen war.

    Das Oberlandesgericht (OLG) München ging als Berufungsinstanz abweichend davon aus, dass der Klägerin die Schadensersatzansprüche wegen Insolvenzverschleppung (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO) und sittenwidriger Schädigung (§ 826 BGB) in Bezug auf alle vier Anlageverträge zustünden. Zur Begründung führte das Gericht aus, dass die Nachhaftung des Geschäftsführers für nach seiner Abberufung geschlossene Verträge zwar grundsätzlich ausscheide, eine solche im Rahmen der Dreiwochenfrist des § 15a InsO aber gleichwohl zum Schutz von Neugläubigern geboten sei.

    In dritter Instanz hat der BGH das Urteil des OLG München zwar aufgehoben und zur erneuten Verhandlung zurückverwiesen, dies jedoch nur wegen prozessualer Besonderheiten der Verfahrensaussetzung im Insolvenzfall. In der Sache hat er die Haftung des Geschäftsführers wegen Insolvenzverschleppung auch für nach seiner Abberufung entstandene Schäden bei „Neugläubigern“, mit denen Anlegerverträge erst nach seiner Abberufung abgeschlossen wurden, bestätigt, und zwar ausdrücklich nicht nur in der Dreiwochenfrist des § 15a InsO.

    Wesentliche Urteilsgründe des BGH:

    Der BGH führt aus, dass das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat, dass der Erblasser seiner Verpflichtung als Geschäftsführer, die wirtschaftliche Lage des Unternehmens laufend zu beobachten und sich bei Anzeichen einer Krise einen Überblick zu verschaffen, nicht genügt habe. Der Einwand einer Informationsabschottung durch die Schweizer Muttergesellschaft sei zutreffend unter dem Hinweis zurückgewiesen worden, dass ein Geschäftsführer sich zunächst über die Rahmenbedingungen des Geschäfts vergewissern müsse, sodass dieser jedenfalls bei Beginn seiner Tätigkeit die Pflicht gehabt habe, den Bestand und die Ordnungsgemäßheit (auch) der Einnahmen (Überweisungen der Schweizer Muttergesellschaft, von der die Vertriebsgesellschaften abhängig waren), zu prüfen.

    Darüber hinaus könne sich der Geschäftsführer nicht auf eine etwaige Ressortaufteilung in Bezug auf den zwischenzeitlichen Mitgeschäftsführer berufen. So entbinde ihn eine etwaige Ressortaufteilung nicht von seiner eigenen Verantwortung für die ordnungsgemäße Führung der Geschäfte (vgl. zur Problematik der Ressortverteilung unseren Newsletter 6/2023, Beitrag 3).

    Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sei die Haftung des Geschäftsführers jedoch nicht auf den Dreiwochenzeitraum des § 15a InsO nach Amtsbeendigung begrenzt. Vielmehr hafte der aus dem Amt ausgeschiedene Geschäftsführer grundsätzlich auch für Schäden von Neugläubigern, die erst nach seinem Ausscheiden in vertragliche Beziehungen zu der Gesellschaft getreten sind. Das Verbot der Insolvenzverschleppung nach § 15a InsO diene nicht allein der Erhaltung des Gesellschaftsvermögens, sondern habe auch den Zweck, insolvenzreife Gesellschaften mit beschränkten Haftungsfonds vom Geschäftsverkehr fernzuhalten, damit Gläubiger durch das Auftreten solcher Gebilde nicht geschädigt oder gefährdet werden.

    Voraussetzung für die Haftung des ausgeschiedenen Geschäftsführers sei allerdings, dass die durch die Amtspflichtverletzung geschaffene verschleppungsbedingte Gefahrenlage im Zeitpunkt der Schadensentstehung noch fortbestehe. Wenn dies gegeben sei, sei die haftungsrechtliche Zurechnung zu dem früheren Geschäftsführer nicht dadurch ausgeschlossen, dass außer seiner Verletzungshandlung (Insolvenzverschleppung) eventuell noch weitere Ursachen zur Rechtsgutsverletzung beigetragen hätten. Eine Unterbrechung des Zurechnungszusammenhangs (Schutzzweckzusammenhangs) komme nur in Betracht, wenn sich das durch die Pflichtverletzung geschaffene Risiko bei einer wertenden Betrachtung bei Abschluss des zum Schaden des Neugläubigers führenden Vertrags nicht mehr auswirke, etwa wenn sich die zu seiner Amtszeit überschuldete Gesellschaft nach seinem Ausscheiden zwischenzeitlich wirtschaftlich wieder erholt hätte und erst später erneut insolvenzreif geworden wäre.

    Fazit:

    Die Entscheidung entfaltet deutliche Auswirkungen auf die insolvenzrechtliche Haftung bereits ausgeschiedener Geschäftsführer. So besteht die Gefahr, dass ein solcher wegen Verletzung der Insolvenzantragspflicht gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO auch gegenüber Neugläubigern haftet, also gegenüber Personen, die erst nach seiner Amtsbeendigung eine vertragliche Beziehung mit der Gesellschaft begründen. Etwaigen Bedenken hinsichtlich einer möglicherweise ausufernden Haftung zu Lasten der ausscheidenden Geschäftsführer begegnet der BGH damit, dass nicht jeder beliebige Dritte geschützt werde, sondern nur die mit der Gesellschaft in vertragliche Beziehung tretenden Neugläubiger.

    Bei fortbestehender Insolvenzantragspflicht haftet neben dem früheren Geschäftsführer indes auch der neue Geschäftsführer, zu dessen Amtszeit der geschädigte (Neu-)Gläubiger mit der Gesellschaft seinen Vertrag abgeschlossen hat. Der alte und der neue Geschäftsführer sind dann Gesamtschuldner, die gegenüber dem Geschädigten entsprechend gemäß § 421 BGB beide in voller Höhe haften. Der Ausgleich unterschiedlicher Haftungsquoten ist dann alleinige Sache des Gesamtschuldnerinnausgleichs gemäß § 426 BGB zwischen den Geschäftsführern.

    Die Argumentation des BGH lässt sich im Übrigen m.E. auch auf außerhalb des Insolvenzrechts beziehende Pflichtverletzungen eines Geschäftsführers übertragen. Nimmt etwa ein Geschäftsführer einer Vermögensverwaltungsgesellschaft unseriöse oder erkennbar ausfallgefährdete Vermögensanlagen in das Portfolio der Gesellschaft auf und werden diese dann neben Alt- auch Neukunden (Personen, die erst nach Ausscheiden des Geschäftsführers zu Kunden zu Vertragspartnern der Gesellschaft werden) ins Depot gelegt, stellt sich die Haftungsfrage genauso wie vom BGH für einen Verstoß gegen § 15a InsO beurteilt. Letztlich geht es stets um Fragen des allgemeinen Schuld- und Schadensrechts und die Reichweite des Schutzzwecks von normierten Sorgfaltspflichten.

    Geschäftsführer sollten daher hinsichtlich der Beachtung ihrer Pflichten auch mögliche Konsequenzen für die Zeit nach Beendigung ihres Amts bedenken.

    Dr. Gerd Krämer

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 1/25

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