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    Anwälte müssen auch Manager vor Pleite warnen

    Unter dieser Überschrift erläuterte kürzlich der langjährige FAZ-Wirtschaftsredakteur Professor Joachim Jahn, nun Mitglied der Chefredaktion der NJW, eine aktuelle Entscheidung des BGH zur Einbeziehung eines Dritten in den Schutzbereich eines Anwaltsvertrags: Verletzt der Anwalt seine Pflicht, kann der Dritte Schadensersatzansprüche gegen den Anwalt haben. Jahn relativiert in seinem Beitrag mit Recht seine nur leicht zugespitzte Überschrift zur Grundaussage des BGH etwas: Im Kleingedruckten des Urteils werde die „Regress-Bombe etwas entschärft“.

    In dem Fall des BGH (Urteil vom 29.06.2023 - IX ZR 56/22) ging es um eine pleite gegangene GmbH & Co. KG. Über diese hatte eine Familie aus dem Großraum Köln Fleischhandel betrieben. Der Sohn der Familie war im Handelsregister eingetragener Geschäftsführer, sein Vater faktischer Geschäftsführer. Die GmbH & Co. KG hatte ein Mandatsverhältnis zu einem Rechtsanwalt. Auch dieser wurde später insolvent. Der Anwalt hatte die GmbH & Co. KG im Vorfeld der Insolvenzeröffnung offenbar falsch beraten. Die Geschäftsführer leisteten Zahlungen, die sie wegen der Überschuldung der GmbH & Co. KG nicht hätten leisten dürfen. Der Insolvenzverwalter verklagte Vater und Sohn auf Rückzahlung. Die Parteien verglichen sich auf eine Zahlung von € 85.000. Weil der Schaden aber letztlich durch die Falschberatung des Anwalts entstanden war, verlangten Vater und Sohn von diesem Schadensersatz für die von ihnen an den Insolvenzverwalter geleistete Vergleichszahlung. Der Rechtsanwalt trat seine Forderungen aus seiner Anwaltshaftpflichtversicherung an Vater und Sohn ab. Die verklagten daraufhin die Versicherung. Der Vorwurf: Der Anwalt sei seinen Warn- und Hinweispflichten aus dem Anwaltsvertrag nicht nachgekommen; er hätte die GmbH & Co. KG und mittelbar sie warnen müssen, die inkriminierten Zahlungen im Vorfeld der Insolvenz zu leisten (§ 15a Insolvenzordnung InsO, früher zB § 64 GmbHG). Die Versicherung weigerte sich zu zahlen. Denn sie meinte, der Anwaltsvertrag habe nur zwischen ihr und der GmbH & Co. bestanden. Daher könnten Vater und Sohn gegen den Anwalt keine Ansprüche haben, und sie brauche auch nicht aus abgetretenem Recht zu zahlen. So sah das auch das Oberlandesgericht Köln. Dagegen gingen Vater und Sohn in die Revisionsinstanz zum BGH.

    Dort hatten sie in der Frage ihrer Einbeziehung in den Anwaltsvertrag mit der GmbH & Co. KG Erfolg. Der BGB entschied, dass beide Geschäftsführer (der förmliche und der faktische Geschäftsführer) als Dritte vertragliche Ansprüche gegen den Rechtsanwalt aus dem Anwaltsvertrag mit der GmbH & Co. KG geltend machen können, obgleich sie nicht Vertragspartner sind, auch wenn es um die Verletzung von Schutz- und Rücksichtnahmepflichten gehe, die der Anwalt durch die ihm vorgeworfene Verletzung seiner Warn- und Hinweispflichten begangen habe. Grundvoraussetzung dafür ist, dass der Anwaltsvertrag ein sog. „Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter“ ist. Bei einem solchen Vertrag steht die vertraglich geschuldete Hauptleistung (in unserem Fall die anwaltliche Beratung) allein dem Gläubiger (der GmbH & Co. KG) zu; der Dritte (hier die Geschäftsführer) ist jedoch so eng in die vertraglichen Pflichten zu Sorgfalt - und Obhut einbezogen, dass auch der Dritte bei deren Verletzung vertragliche Schadensersatzansprüche gegen den Schuldner (hier den Anwalt) geltend machen kann. Voraussetzung für einen solchen eigenen Anspruch des Dritten ist in erster Linie, dass er mit der Hauptleistung bestimmungsgemäß in Berührung kommt und dies dem Vertragspartner (hier dem Anwalt) bekannt oder für ihn erkennbar ist.

    Dieses sog. Näheverhältnis bejaht der BGH beim Anwaltsvertrag im Hinblick auf die Pflichten zur Beratung über Fragen des richtigen Verhaltens im Vorfeld der Insolvenz. Denn die Geschäftsführer kämen bestimmungsgemäß mit der anwaltlichen Leistung in Berührung. Erkennbar hätten die Geschäftsführer ein besonderes Interesse an der Hauptleistung, der richtigen anwaltlichen Beratung gerade auch in Insolvenznähe, da dort für sie selbst Haftungsrisiken bestehen (wie der Fall zeigt). Der BGH hatte bereits 2017 (IX ZR 285/14) erstmals Hinweis- und Warnpflichten eines Steuerberaters bei einem möglichem Insolvenzgrund in Betracht gezogen, den eine GmbH mit der Aufstellung des Jahresabschlusses beauftragt hatte (nunmehr gesetzlich normiert in § 102 StaRUG – Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz aus dem Jahr 2020). In der aktuellen Entscheidung statuiert der BGH die Möglichkeit der drittschützenden Wirkung der Hinweis- und Warnpflicht des Rechtsberaters bei möglichem Insolvenzgrund zugunsten der Geschäftsleiter von Gesellschaften – falls der Anwalt nach dem jeweiligen Umfang des Mandatsverhältnisses entsprechende Pflichten gegenüber dem Vertragspartner hat. Das ist eine Frage des Einzelfalls. Der BGH stellt für dessen Beurteilung folgende Grundsätze auf: Entsprechende Pflichten seien regelmäßig zu verneinen, wenn der Berater „nur mit der Durchsetzung eines Anspruchs beauftragt wird oder eine rechtliche Gestaltung unabhängig von einer Krise der Mandantin vornehmen soll“ – selbst wenn sich bei der Bearbeitung eines solchen Mandats Anhaltspunkte für einen möglichem Insolvenzgrund ergäben. Anders liege der Fall, wenn der Berater explizit mit der Beurteilung oder Bearbeitung einer Krisensituation betraut sei. Doch auch dann gibt es nach dem BGH keinen Automatismus der Haftung: Die Hinweis- und Warnpflicht bei möglichem Insolvenzgrund bestehe nur unter engen Voraussetzungen. Der Berater brauche insb. nur zu warnen, wenn der mögliche Insolvenzgrund für ihn offenkundig sei oder er sich ihm bei ordnungsgemäßer Bearbeitung aufdränge, bloße Erkennbarkeit reiche nicht; zudem müsse er Grund zur Annahme haben, dass sich der Geschäftsleiter nicht über den möglichen Insolvenzgrund und die daraus folgenden Handlungspflichten bewusst sei.

    Der BGH bejaht auch für den faktischen Geschäftsführer die Möglichkeit, über das Modell des Drittschutzes den Berater in Anspruch zu nehmen. Voraussetzung sei lediglich, dass der Berater mit dem Vorhandensein des faktischen Geschäftsführers rechnen konnte. Das ist nach der sonstigen Rechtsprechung des BGH konsequent. Denn auch der faktische Geschäftsführer muss nach dem BGH Insolvenzantrag stellen, und er haftet auch sonst wie der förmliche Geschäftsführer. Eine Frage des Einzelfalls ist, ob dem Berater hinreichend sicher bekannt ist, dass neben dem offiziellen Geschäftsführer auch noch ein faktischer im Spiel ist.

    Diese Entscheidung des BGH wirkt ausgewogen. Allzu weit ausufernde Beraterhaftung wird verhindert durch eine einengende Definition des erforderlichen Näheverhältnisses beim Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter sowie dem Erfordernis, dass die Insolvenzthemen tatsächlich Gegenstand der Beratung sein und sich Anhaltspunkte für die Insolvenz dabei aufdrängen müssen.

    Dr. Thomas Heidel / Lukas Ballweg

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 6/23

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