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"Dieselskandal" einmal anders: Schadensersatz für Aktien-Kursverluste
Die Verfahren wurden in einem Kapitalanleger-Musterverfahren zusammengefasst, das die DEKA Investment GmbH als Musterklägerin führt. Musterbeklagte sind die VW AG und die Porsche Automobil Holding SE. Das OLG Braunschweig hat in diesem Verfahren am 18.11.2021 (Az.: 3 Kap 1/16) einen wichtigen Hinweisbeschluss zum Stand der Dinge veröffentlicht:
1. Der Einbau der unzulässigen Abschaltsoftware im Jahr 2008 stellt nach Ansicht des Gerichts eine „Insiderinformation“ i.S.v. §§ 13, 15 Wertpapierhandelsgesetz alter Fassung (WpHG a.F., mittlerweile Art. 7 Abs. 1 Marktmissbrauchsrichtlinie [MAR]) dar. Denn es handele sich um eine hinreichend präzise Information, die sich auf einen oder mehrere Emittenten beziehe und im Falle ihres öffentlichen Bekanntwerdens geeignet wäre, den Markt- oder Börsenpreis erheblich zu beeinflussen. Die Eignung zur erheblich Kursbeeinflussung ergebe sich daraus, dass ein verständiger Anleger angesichts der zu erwartenden Vermögensreputationsschäden und der eingetretenen Fixkosten eine negative Anlageentscheidung getroffen hätte. Denn die beklagten Konzerne hätte im Rahmen einer großangelegten Werbekampagne ab 2006 mit ihrer besonderen Umweltfreundlichkeit geworben und gerade die Übererfüllung von Umweltschutzstandards als Vorteil für die Eroberung des US-Marktes angepriesen.
2. Diese Insiderinformation hätten die beklagten Konzerne nach § 15 Abs. 1 WpHG (jetzt: Art. 17 Abs. 1 MAR) auch veröffentlichen müssen. Für einen Aufschub der Veröffentlichung nach § 15 Abs. 3 WpHG fehlte es unstreitig an der nach Ansicht des Gerichts erforderlichen aktiven Beschlussfassung über den Aufschub. Dies ergebe sich daraus, dass der Emittent zugleich mit inhaltlicher Begründung auch die Bundeanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) informieren müsse. Dies setzte schon gedanklich eine entsprechende Beschlussfassung des Emittenten voraus.
Das Gericht erteilte dem Einwand der Konzerne, dass eine entsprechende Beschlussfassung für einen Aufschub der Informationserteilung erfolgt wäre, falls bei der internen Bewertung des Einbaus der Abschalteinrichtung das Vorliegen einer Insiderinformation festgestellt worden wäre, eine Absage. Zwar sei grundsätzlich eine Berufung auf „hypothetisch rechtmäßiges Alternativverhalten“ nicht von vornherein ausgeschlossen. Allerdings lägen die Voraussetzungen für die sog. „Selbstbefreiung“ nicht vor. Denn ein berechtigtes Interesse des Emittenten an dem Aufschub der Veröffentlich sei bei Compliance-Verstößen nur anzuerkennen, wenn der Emittent den Sachverhalt selbst aufkläre oder bei der Sachverhaltsaufklärung mit den Ermittlungsbehörden kooperiere. Denn es sei für den Kapitalmarkt vorteilhafter, erst auf vollständig aufgeklärter Tatsachenbasis informiert zu werden. Wenn mit dem Aufschub aber lediglich der Vorgang weiter verschleiert werden solle, sei kein berechtigtes Interesse gegeben.
Auch der Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ (dt.: „Niemand ist gehalten, sich selbst anzuklagen“) stehe einer kapitalmarktrechtlichen Veröffentlichungspflicht nicht entgegen. Denn unabhängig von der Frage, ob sich der Emittent als juristische Person überhaupt auf diesen für natürliche Personen entwickelten Rechtsgrundsatz berufen könne, gelte er nur für das Strafverfahren. Die kapitalmarktrechtliche Veröffentlichungspflicht diene dagegen dem Schutz der individuellen Anleger, deren Rechte auch zu berücksichtigen seien. Eine strafrechtliche Auswirkung bei einer Selbstbezichtigung im Rahmen der Ad-hoc-Publizität könne durch die Annahme eines Beweisverwertungsverbotes im Strafverfahren vermieden werden.
3. Schadensersatzansprüche aus § 37b Abs. 1 WpHG a.F. (jetzt: § 97 Abs. 1 WpHG) seien für die Zeit vor dem 09.07.2012 aufgrund der Vorschrift des § 37b Abs. 4 a.F. WpHG verjährt. Für daneben bestehende Schadensersatzansprüche aus §§ 826, 31 BGB komme es darauf an, dass die Kläger darlegen und beweisen, dass die „Organe“, also die Vorstandsebene der Konzerne Kenntnis von dem Einbau der Abschalteinrichtung hatte. Denn die Abteilungsleiter der Aggregatentwicklung, die unstreitig entsprechende Kenntnisse hatten, seine keine satzungsmäßigen Vertreter der Konzerne im Sinne von § 31 BGB in Bezug auf kapitalmarktrechtliche Pflichten. Auch eine Fiktionshaftung für Organisationsverschulden gem. § 31 BGB analog komme nicht in Betracht. Denn diese beruhe auf dem Gedanken der Gleichstellung von juristischen mit natürlichen Personen. Eine juristische Person, die nur für ihre Organe haftet, soll sich nicht durch Bestellung möglichst weniger Organe von einer deliktischen Haftung freistellen können. Da die Ad-Hoc-Publizitätspflichten von vornherein nur juristische Personen treffen, greife das Gleichstellungsargument hier aber nicht.
Auch eine Wissenszurechnung analog § 166 BGB von den Abteilungsleitern auf den Vorstand komme nicht in Betracht. Denn auch diese beruhe auf dem Gleichstellungsgedanken und sei für den rechtsgeschäftlichen (und nicht für den deliktischen) Bereich entwickelt worden.
4. Für die Zeit ab dem 09.07.2012 obliege es dagegen den Vorständen der beklagten Automobilkonzerne, darzulegen und zu beweisen, dass die Veröffentlichung der Insiderinformationen nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig erfolgt sei. Denn die nicht verjährten Ansprüche aus § 37b WpHG a.F. setzten tatbestandlich keine Kenntnis voraus und § 37b Abs. 2 WpHG kehre zudem die Beweislast für das Verschulden um.
Das Gericht hat den Beteiligten Gelegenheit zur schriftsätzlichen Stellungnahme bis zum 31.01.2022 gegeben, danach will es einen Beweisbeschluss erlassen. Die weiteren Termine sollen in Rücksprache mit den Beteiligten bestimmt werden.
Der Hinweisbeschluss dürfte die Rechte der betroffenen Anleger im Grundsatz deutlich stärken. Gerade für den Anspruch aus § 37b Abs. 1 a.F./§ 97 Abs. 1 WpHG war lange umstritten, ob dieser schon tatbestandlich eine Kenntnis voraussetzt, was das Oberlandesgericht Braunschweig hier eindeutig verneint hat. Auch die Einstufung schon des Einbaus der Abschalteinrichtungen als Insiderinformation sowie die Annahme einer Veröffentlichungspflicht gem. § 15 Abs. 1, Abs. 3 WpHG a.F./ Art. 17 Abs.1 MAR wird den geschädigten Aktionären ihre Rechtsdurchsetzung erleichtern. Dass dennoch viele Anleger wahrscheinlich leer ausgehen werden, liegt vielmehr an der unseligen Verjährungsvorschrift des § 37b Abs. 4 WpHG a.F, denn im Rahmen der §§ 826, 31 BGB den Vorstandsmitgliedern positive Kenntnis nachzuweisen, dürfte schwer fallen. Für ab dem 10.07.2012 pflichtwidrig unterlassene Ad-hoc-Mitteilungen, also betreffend rechtswidrige Abschalteinrichtungen für spätere PKW-Modelljahre, ist der Hinweisbeschluss des OLG Braunschweig ein ermutigendes Signal.
Dr. Gerd Krämer / WissMit. Faris SchäferIn folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 12/21
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