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Verfassungswidrigkeit der Verzinsung von Steuernachforderungen und Steuerrückerstattungen
Eine steuerliche Außenprüfung ist für die betroffenen Betriebe selten angenehm. Zusätzlich zu der damit häufig verbundenen Steuernachforderung war diese noch mit 6 % jährlich zu verzinsen. Gerade in Zeiten chronischer Niedrig- und teilweise sogar Negativzinsen erschien dies den Betroffenen unangemessen hoch. Nun hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) diese hohe Verzinsung in zwei Verfahren (Az: 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17) ab dem Veranlagungszeitraum 2014 für verfassungswidrig erklärt.
Bei den beiden Verfahren handelte es sich um Verfassungsbeschwerden gegen Gewerbesteuernachforderungen. Das BVerfG sah in der aus §§ 233a, 238 Abgabenordnung (AO) folgenden Verzinsung der Gewerbesteuernachforderungen in Höhe von 6 % p.a. ab dem Veranlagungszeitraum 2014 einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG).
Art. 3 Abs. 1 GG verbietet die Ungleichbehandlung von wesentlich Gleichem und die Gleichbehandlung von wesentlich Ungleichem. Als Vergleichsgruppen bestimmte das BVerfG insofern Steuerpflichtige, deren Steuer sofort und Steuerpflichtige, deren Steuer nachträglich festgesetzt wurde. Jedoch betonte das BVerfG, Art. 3 Abs. 1 GG verbiete nicht jede Ungleichbehandlung, sondern sei einer Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Ziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind, zugänglich. Der Sachgrund, der der Ungleichbehandlung der vorgenannten Vergleichsgruppen zugrunde lag, bestand in dem potenziellen Zinsvorteil, der in der Zeit zwischen der Entstehung und der Festsetzung der Steuer zu erzielen war. Bei der Bemessung dieses Vorteils dürfe der Gesetzgeber zur Verwaltungsvereinfachung grundsätzlich pauschalisierend vorgehen.
Nach diesen Grundsätzen, so das BVerfG, sei die Verzinsung von Steuernachforderungen von ihrer Einführung im Jahr 1990 bis in das Jahr 2013 verfassungsgemäß gewesen. Erst mit dem seit der Finanzkrise seit 2008 entstandenen strukturellen Niedrigzinsniveau sei diese pauschale Bemessung des Zinssatzes von 6 % p.a. ab dem Veranlagungszeitraum 2014 evident realitätsfern geworden. Somit sei diese nicht mehr geeignet gewesen, den Vorteil der späteren Veranlagung abzubilden. Die hierdurch hervorgerufene überschießende Wirkung mache die Verzinsung somit nunmehr verfassungswidrig.
Trotz der festgestellten Verfassungswidrigkeit hat das BVerfG eine Fortgeltung der §§ 233a, 238 AO bis zum 31. Dezember 2018 angeordnet. Erst ab dem Veranlagungszeitraum 2019 entfalte die Vorschrift keine Wirkung mehr. Es hat dem Gesetzgeber bis zum 31. Juli 2022 eine Neuregelung aufgegeben, die rückwirkend die Veranlagung ab dem 1. Januar 2019 erfasst. Aufgrund des einheitlichen Regelungskonzeptes erfasst die Unwirksamkeit auch die Verzinsung von Steuerrückerstattungen zugunsten des Steuerpflichtigen.
In der Sache überzeugt die Entscheidung des BVerfG. Die Fortgeltung der Regelung bis zum Verzinsungszeitraum 2018 ist aber eine rein fiskalische Entscheidung, die vor dem Hintergrund der bisherigen Rechtsprechung des BFH schwer nachzuvollziehen ist. Der BFH hat bereits im Jahr 2018 die Verfassungswidrigkeit der Vollverzinsung mit 6 % p.a. ab dem Veranlagungszeitraum 2015 angenommen und dementsprechend die Aussetzung der Vollziehung für entsprechende Zinsbescheide gewährt. Im Jahr 2019 hat der BFH dies auf Zeiträume ab dem 1. April 2012 erweitert.
Auch die Finanzverwaltung hat auf Basis der BFH-Rechtsprechung ab November 2019 die Aussetzung der Vollziehung für Zinszeiträume ab dem 1. April 2012 gewährt (BMF-Schreiben vom 27.11.2019). Dass das BVerfG vor diesem Hintergrund eine Fortgeltung der Altregelung bis zum Jahr 2018 für geboten hält, zeigt einmal mehr, dass das BVerfG eine verlässliche Finanz- und Haushaltsplanung extrem hoch bewertet.
Diese Entwicklung ist sehr bedenklich, da sie auch dazu führt, dass das finanzielle Risiko für den Gesetzgeber, offensichtlich verfassungswidrige Gesetze nicht zu ändern, immer weiter reduziert wird.
Neben den §§ 233a, 238 AO wird auch in weiteren steuerrechtlichen Normen ein pauschaler Zinssatz festgelegt. Die Entscheidung des BVerfG wird die Debatte um die Verfassungswidrigkeit dieser Normen weiter anheizen. So hat das Finanzgericht Köln (Az: 10 K 977/17) im Jahr 2017 einen Normenkontrollantrag gegen die pauschale Abzinsung von Pensionsrückstellungen mit 6 % p.a. in der Steuerbilanz (§ 6a Abs. 3 Satz 3 EStG) an das BVerfG gestellt.
Das Finanzgericht Hamburg (Az: 2 V 112/18) sah die Abzinsungen von langfristigen Verbindlichkeiten in der Steuerbilanz mit 5,5 % p.a. nach § 6 Abs. 1 Nr. 3 Einkommensteuergesetz (EstG) als verfassungswidrig an und gewährte gegen einen auf die Norm gestützten Steuerbescheid vorläufigen Rechtsschutz. Dieser Auffassung widersprach das Finanzgericht Münster jüngst für das Jahr 2013 (Az: 3 V 505/21).
Die weitere Entwicklung bleibt somit spannend.
Dr. Uwe Scholz / Faris Schäfer
In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 8/21
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