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Zur Sozialversicherungspflicht eines Gesellschafter-Geschäftsführers
Eine die Annahme von Beschäftigung ausschließende Sperrminorität des Gesellschafter-Geschäftsführers muss sich auf alle Geschäfte der Gesellschaft beziehen, insbesondere auch die Geschäfte des gewöhnlichen Betriebes.
Das Verfahren vor dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg, Urteil vom 30.4.2020 (Az. L 10 BA 1483/19), betraf den versicherungsrechtlichen Status eines Gesellschafter-Geschäftsführers. Es gab 3 Gesellschafter, die jeweils mit einem Anteil von 1/3 am Stammkapital beteiligt waren. Im Gesellschaftsvertrag war u.a. vorgesehen, dass die Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern durch einstimmigen Gesellschafterbeschluss erfolgt. Die Geschäftsführer bedurften im Innenverhältnis der vorherigen Zustimmung durch Gesellschafterbeschluss für alle Geschäfte, die über den gewöhnlichen Betrieb der Gesellschaft hinausgehen. Die Geschäftsführer sollten Entscheidungen - soweit nicht zwingend anderes vorgesehen ist - in allen Angelegenheiten der Gesellschaft durch Beschlussfassung mit der Mehrheit aller Gesellschafter treffen. Nur mit 100 % der Stimmen aller Gesellschafter konnte eine Änderung des Gesellschaftsvertrages sowie die Auflösung der Gesellschaft beschlossen werden. Zwischen der Gesellschaft und dem Geschäftsführer wurde ein Anstellungsvertrag geschlossen, wonach der Geschäftsführer alle Funktionen eines Geschäftsführers der Gesellschaft, die im Rahmen der Tätigkeit des Unternehmens anfallen, übernimmt.
Das Landessozialgericht hat das sozialgerichtliche Urteil bestätigt und die Versicherungspflicht bejaht. Ausgangspunkt der Prüfung war der Anstellungsvertrag zwischen der Gesellschaft und dem Geschäftsführer. Dabei bejahten beide Instanzen ein Beschäftigungsverhältnis aufgrund der Benennung des Vertrages als „Anstellungsvertrag“ und der für ein Beschäftigungsverhältnis typischen Regelungen, bspw. der festen monatlichen Vergütung zuzüglich eines dreizehnten Monatsgehalts, der Gehaltsfortzahlung im Krankheitsfall sowie des vereinbarten Jahresurlaubs, obschon eine feste Arbeitszeit nicht vereinbart war.
Bei der sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung von Geschäftsführern einer GmbH komme es auf die Beteiligung am Gesellschaftskapital der GmbH an. Selbstständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer müssen über eine Mindestkapitalbeteiligung von 50 % oder eine echte Sperrminorität verfügen und so eine Einflussmöglichkeit auf den Inhalt von Gesellschafterbeschlüssen haben und ihnen nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern können. Demgegenüber ist eine unechte, weil auf bestimmte Gegenstände begrenzte Sperrminorität nicht geeignet, die erforderliche Rechtsmacht zu verleihen. Ausgehend hiervon vermittele in dem streitgegenständlichen Fall der Kapitalanteil des Geschäftsführers von nur 1/3 keine echte Sperrminorität, weil der Geschäftsführer ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung nicht umfassend verhindern könne. Die Sperrminorität müsse sich auf alle Angelegenheiten der Gesellschaft beziehen. Werden im Gesellschaftsvertrag in Bezug auf die Sperrminorität einzelne Geschäfte aufgeführt, bedeute dies, dass nicht aufgeführte Geschäfte keiner Sperrminorität unterliegen.
Der streitgegenständliche Zustimmungskatalog beinhalte nur Geschäfte, die über den gewöhnlichen Betrieb der Gesellschaft hinausgehen. Dies bedeute zugleich, dass Geschäfte des gewöhnlichen Betriebes keiner Zustimmung bedürfen. Dies schließe Beschlüsse der Gesellschafterversammlung über die Erteilung von Weisungen für Geschäfte des gewöhnlichen Betriebes nicht aus. Denn nach § 37 Abs. 1 GmbHG sind die Geschäftsführer der Gesellschaft gegenüber verpflichtet, die Beschränkungen einzuhalten, welche u.a. durch die Beschlüsse der Gesellschafter festgesetzt sind. Dies bedeute eine umfassende und grundsätzliche Weisungsunterworfenheit der Geschäftsführer gegenüber den Gesellschaftern der GmbH. Solche Gesellschafterbeschlüsse seien nach dem streitgegenständlichen Gesellschaftsvertrag mit der Mehrheit der Stimmen zu fassen, sodass der Geschäftsführer diese Beschlüsse nicht verhindern könne. Eine umfassende Sperrminorität müsse nach ständiger Rechtsprechung die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassen und damit alle Angelegenheiten (so Bundessozialgericht, Urteil vom 29.06.2016, B 12 R 5/14 R, und vom 19.09.2019, B 12 R 25/18 R). Selbst die Sperrminorität in Bezug auf die eigene Kündigung reiche insoweit nicht aus (Bundessozialgericht, Urteil vom 29.06.2016, B 12 R 5/14 R).
Der Senat hat erneut unter Bezugnahme auf das Bundessozialgericht darauf hingewiesen, dass zwischen dem Begriff des Arbeitnehmers i.S.d. Arbeitsrechts und des Beschäftigten i.S.d. Sozialversicherungsrechts kein Gleichklang besteht (Urteil vom 04.06.2019, B 12 R 11/18 R), u.a. weil im Sozialversicherungsrecht auch die Belange der Solidargemeinschaft der Pflichtversicherten zu berücksichtigen sind. Unter Zugrundelegung dieses Gedankens ist das Urteil des Landessozialgerichts keine Überraschung. Die Rechtsprechung der Sozialgerichte ist eher geneigt, den sozialversicherungsrechtlichen Status auch in anderen Fällen – z.B. bei den sog. Scheinselbständigen – zu bejahen statt die Selbständigkeit der Dienstleister anzunehmen. Aus Sicht der Solidargemeinschaft ist dies verständlich, jedoch in den Fällen, in denen die Personen ausreichend anderweitig abgesichert sind, nicht ganz nachvollziehbar.
In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 8/20
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