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    „Polbud“ - EuGH macht den Weg frei für grenzüberschreitenden Formwechsel

    Dank der Niederlassungsfreiheit konnte bei der Neugründung einer Gesellschaft in der EU schon bislang die Rechtsform frei gewählt werden. In der aktuellen „Polbud“-Entscheidung erstreckt der Europäische Gerichtshof (EuGH) diese Rechtsformwahlfreiheit nun auch auf bereits bestehende Gesellschaften. Diese können durch die Verlegung ihres Satzungssitzes einen grenzüberschreitenden Formwechsel vollziehen.

    Der EuGH hat das Europäische Gesellschaftsrecht seit 1999 durch eine Reihe wegweisender Entscheidungen geprägt - von „Centros“, „Überseering“ und „Inspire Art“ über „SEVIC“ bis hin zu „Cartesio“ und „VALE“. Danach stand bislang schon fest, dass die Niederlassungsfreiheit den Gründern einer Gesellschaft Wahlfreiheit einräumt. Sie können für ihre neugegründete Gesellschaft auch das Recht eines Staates wählen, in dem sie weder ihren Verwaltungssitz hat noch irgendeine wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet. Erforderlich war nach dieser Rechtsprechung nur, dass das gewählte Recht keine derartigen Inlandsbezüge forderte. Auf diese Weise konnten z.B. deutsche Unternehmensgründer die Rechtsform der englischen Limited wählen, ohne dass die Gesellschaft von England aus verwaltet wurde oder dort tätig war. Der tradierten deutschen Auffassung, die solche Gestaltungen als „Scheinauslandsgesellschaften“ einordnete und nicht anerkannte, war damit der Boden entzogen. Die große Welle deutscher Limited-Gründungen ist inzwischen zwar (auch unabhängig vom Brexit) aus verschiedenen Gründen bereits wieder abgeklungen; für spezielle Einsatzzwecke spielen „inländische“ Auslandsgesellschaften aber nach wie vor eine bedeutsame Rolle.

    Bislang war jedoch noch nicht abschließend geklärt, wie weit der Schutz der Niederlassungsfreiheit nach der Gründung einer Gesellschaft reicht. Anerkannt hatte der EuGH allerdings bereits in der „SEVIC“-Entscheidung, dass die Niederlassungsfreiheit auch die grenzüberschreitende Verschmelzung von Gesellschaften schützt. Insoweit existiert ein detaillierter Rechtsrahmen in Form einer EU-Richtlinie. Dazu gibt es nationale Umsetzungsakte (für Deutschland §§ 122a ff. Umwandlungsgesetz sowie das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung). Nicht immer ist eine Verschmelzung aber das Mittel der Wahl: So kann z.B. zur Vermeidung von Grunderwerbsteuer ein Formwechsel vorzugswürdig sein. Dass die Niederlassungsfreiheit grundsätzlich auch den grenzüberschreitenden Formwechsel schützt, hatte der EuGH zwar schon in den Entscheidungen „Cartesio“ und „VALE“ festgestellt. Ungeklärt und heftig umstritten war aber, ob dies auch für den Formwechsel durch eine „isolierte“ Verlegung des Satzungssitzes gilt. Hierzu wurde verbreitet die Auffassung vertreten, dass die formwechselnde Gesellschaft im Aufnahmestaat auch ihren Verwaltungssitz nehmen bzw. dort wirtschaftlich tätig sein oder dies zumindest anstreben müsse. Dieser Auffassung hat der EuGH in der „Polbud“-Entscheidung, die den Formwechsel einer polnischen GmbH in die Rechtsform einer luxemburgischen GmbH betraf, nun eine eindeutige Absage erteilt: Sofern der Zuzugsstaat der formwechselwilligen Gesellschaft einen derartigen Formwechsel zulasse, dürfe ihr auch ihr Wegzugsstaat keine Steine in den Weg legen. Es stelle für sich genommen auch keinen Missbrauch der Niederlassungsfreiheit dar, wenn die Gesellschaft durch den Formwechsel lediglich in den Genuss für sie günstigerer Rechtsvorschriften gelangen wolle. Soweit das polnische Recht die Satzungssitzverlegung als Auflösung der Gesellschaft begreife, die zu deren Liquidation führe, sei das eine unzulässige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit.

    Damit hat der EuGH die Freiheit der Rechtsformwahl vom Gründungszeitpunkt auf die gesamte Lebensdauer der Gesellschaft ausgedehnt. Voraussetzung ist aber wie beim Gründungsvorgang auch beim grenzüberschreitenden Formwechsel, dass der Zielrechtsstaat über den Satzungssitz hinaus keinen weitergehenden Inlandsbezug fordert, d.h. einen Formwechsel durch isolierte Satzungssitzverlegung zulässt. Daher kommen nicht alle Mitgliedsstaaten als Zielstaat eines grenzüberschreitenden Formwechsels in Betracht. Da für den Formwechsel (anders als für die grenzüberschreitende Verschmelzung) Detailregelungen fehlen, wird er auch in Zukunft noch mit Rechtsunsicherheit verbunden bleiben. Fraglich ist z.B., ob und wie die Rechte von Gläubigern, Minderheitsgesellschaftern und Arbeitnehmern der formwechselnden Gesellschaft geschützt werden. Der Schutz der Rechte dieser Gruppen bleibt nämlich auch im Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit möglich, sofern die daraus resultierenden Beschränkungen dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Denkbar ist, dass die nationalen Gerichte insoweit auf eine analoge Anwendung der Regeln für die grenzüberschreitende Verschmelzung zurückgreifen werden. Ein grenzüberschreitender Formwechsel bedarf vor diesem Hintergrund sorgfältiger Vorbereitung und Begleitung. Der Aufwand kann sich aber lohnen, wenn - etwa wegen grunderwerbsteuerlicher Aspekte - eine Änderung der Rechtsform durch eine grenzüberschreitende Verschmelzung nicht in Betracht bekommt. Besonderer Anlass für einen Rechtsformwechsel ist gegenwärtig bei Gesellschaften gegeben, die nach englischem Recht gegründet worden sind, aber ihren Verwaltungssitz in Deutschland haben. Denn hier droht nach dem Brexit die unbeschränkte persönliche Haftung der Gesellschafter.

    Dr. S. Schödel

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 9/17

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