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    Dauerbrenner Wohnraumkündigung

    In drei aktuellen Entscheidungen hat sich der BGH mit den Voraussetzungen für die Kündigung von Wohnraum befasst. Dabei klärt er diverse äußerst praxisrelevante Fragen.

    1. Keine Kündigungen für Geschäftsbedarf

    Im Urteil vom 29.03.2017, Az.: VIII ZR 45/16, hat der BGH Leitlinien für die Prüfung von Kündigungen wegen Berufs- oder Geschäftsbedarf entwickelt.

    Entgegen einer bisher verbreiteten Praxis ist der Bedarf des Vermieters an der Wohnung für berufliche oder geschäftliche Zwecke nicht mehr als eine - ungeschriebene - weitere Kategorie des typischerweise anzuerkennenden Vermieterinteresses an der Beendigung des Mietverhältnisses anzusehen. Vielmehr müssen nach dem BGH jeweils im Einzelfall die beiderseitigen Belange der Betroffenen abgewogen werden. Hierbei könnten die im Gesetz typisierten Regeltatbestände (§ 543 Abs. 2 BGB) einen ersten Anhalt für die Abwägung geben. Ausgehend von diesen typisierten Beispielen hat der BGH ein abgestuftes Modell der Intensität der vom Mieter darzulegenden Interessen entwickelt: Danach muss bei einer sog. Mischnutzung dem Vermieter ein beachtenswerter Nachteil entstehen, würde ihm die Eigennutzung verwehrt; in Fällen, in denen der Vermieter die Wohnung ausschließlich zu geschäftlichen Zwecken nutzen möchte, muss ihm ein Nachteil von einigem Gewicht drohen, um den Mieter zu verdrängen. Ein solcher Nachteil setzt nach dem BGH voraus, dass der Vermieter andernfalls seine geschäftliche Tätigkeit nicht rentabel führen könnte oder seine konkrete Lebensgestaltung (z. B. durch gesundheitliche Einschränkungen, Betreuung von Kindern oder pflegebedürftigen Personen) die Nutzung der Mietwohnung für geschäftliche Zwecke erfordert.

    Damit hat der BGH die Rechte des Vermieters an der eigenen Nutzung seines Eigentums deutlich eingeschränkt.

    2. Gericht muss sich eigenständiges Bild von Härtegründen machen

    Im Urteil vom 15.03.2017, Az.: VIII ZR 270/15, hatte sich der BGH mit der Abwägung vorgetragener Härtegründe im Sinne des § 574 Abs. 1 BGB auseinanderzusetzen.

    Im konkreten Fall hatte der Vermieter das Mietverhältnis einer 3 ½ Zimmer-Wohnung im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses gekündigt. Er begründete die Kündigung damit, dass er die Wohnung für die vierköpfige Familie seines Sohnes benötige. Diese bewohnte eine Wohnung im Obergeschoss des Mehrfamilienhauses. Sie wolle die bisherige und die gekündigte Wohnung zusammenlegen, um die beengten Wohnverhältnisse zu beseitigen. Die beklagten Mieter widersprachen dieser Kündigung. Sie machten geltend, dass sie jedenfalls die Fortsetzung des Mietverhältnisses aufgrund persönlicher Härte verlangen könnten. Der im Jahr 1930 geborene Beklagte habe zahlreiche gesundheitliche Einschränkungen. Er leide an einer beginnenden Demenz, die sich zu verschlimmern drohe, wenn er aus seiner gewohnten Umgebung gerissen werde. Bei einem Verlust der Wohnung sei ein Umzug in eine Altenpflegeeinrichtung unumgänglich. Die noch rüstige beklagte Ehefrau lehnte es ab, sich entweder von ihrem Mann zu trennen oder selbst in ein Altenpflegeheim zu ziehen.

    Die Räumungsklage des Vermieters hatte vor dem Amts- und Landgericht Erfolg. Das Vorbringen der Beklagten verdiene - auch wenn man es als wahr unterstelle - keinen Vorrang gegenüber den Interessen der Vermieterseite, nicht länger und auf unabsehbare Zeit im eigenen Anwesen in beengten, einer Familie mit zwei Kindern nicht angemessenen Wohnverhältnissen leben zu müssen.

    Der BGH hat die Vorentscheidungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dieses hätte nicht lediglich den Beklagtenvortrag zu den Härtegründen formal als wahr unterstellen dürfen und zu dem Ergebnis gelangen dürfen, dass diese Härten keinesfalls Vorrang gegenüber den Interessen des Vermieters verdienten. Vielmehr hätte es sich inhaltlich mit dem Beklagtenvortrag und der darin zum Ausdruck gekommenen existenziellen Bedeutung der Beibehaltung der bisherigen Wohnung ausführlicher auseinandersetzen müssen. Gerade in Fällen drohender schwerwiegender Gesundheitsbeeinträchtigungen oder Lebensgefahr sind die Gerichte nach dem BGH verfassungsrechtlich gehalten, ihre Entscheidungen auf eine tragfähige Grundlage zu stellen. Sie müssten daher Beweisangeboten besonders sorgfältig nachgehen. Den vom Mieter aufgezeigten Gefahren müssten sie bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen hinreichend Rechnung tragen. Mache ein Mieter schwerwiegende gesundheitliche Auswirkungen eines erzwungenen Wohnungswechsels geltend, müssten die Gerichte bei Fehlen eigener Sachkunde mit Hilfe eines Sachverständigen feststellen, welche konkreten Gesundheitsfolgen mit dem Umzug verbunden sind. Zu klären sei der Schweregrad der zu erwartenden Gesundheitsbeeinträchtigung und deren Eintrittswahrscheinlichkeit. Nur auf Grundlage eines solchen Vorgehens könnten die Gerichte die Konsequenzen, die für den Mieter mit dem Umzug verbunden seien, bei der nach dem Gesetz notwendigen Abwägung sachgerecht beurteilen.

    3. Darlegungslast des Vermieters bei Nichtumsetzung des in der Kündigung angegebenen Nutzungswunsches

    Mit Urteil vom 29.03.2017, Az.: VIII ZR 44/16, befasste sich der BGH mit den Anforderungen an die tatrichterliche Würdigungen des Parteivortrages und Beweisergebnisses in Fällen möglicherweise vorgetäuschten Eigenbedarfes.

    Der BGH musste sich zwei Mal mit folgendem Fall befassen: Ein Vermieter hatte das Mietverhältnis gekündigt mit der - vom Mieter bestrittenen - Begründung, die Wohnung werde für einen neuen Hausmeister benötigt. Hierüber kam es zu einem Prozess. Darin schlossen die Parteien einen Vergleich. Der Mieter verpflichtete sich, spätestens Ende 2011 auszuziehen. Das tat er auch. Es zog dann allerdings nicht wie angekündigt der neue Hausmeister in die Wohnung ein, sondern eine nicht mit Hausmeisterdiensten betraute Familie. Danach kam es zu einem weiteren Prozess, der bis zum BGH ging. Der Mieter klagte auf Schadensersatz. Er hatte damit in den ersten beiden Instanzen keinen Erfolg. Das Berufungsgericht meinte, die Parteien hätten mit dem Räumungsvergleich einen endgültigen Schlussstrich unter das Mietverhältnis gezogen. Dem Kläger sei es daher verwehrt, im Nachhinein Schadensersatzansprüche wegen vorgetäuschten Eigenbedarfs geltend zu machen. Der BGH hat mit Urteil vom 10.06.2015, Az.: VIII ZR 99/14, das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des für die Berufung zuständigen Landgerichtes zurückverwiesen.

    Im zweiten Rechtszug wies das Landgericht die Klage erneut ab. Es war aufgrund der Darlegung des Vermieters und der seiner Meinung nach lebensnahen und nachvollziehbaren Angaben des als Zeugen vernommenen Hausmeisters überzeugt, dass der Vermieter bei seiner Kündigung und noch bis zum Auszug des Mieters die Wohnung dem Hausmeister zur Verfügung stellen wollte. Der Vermieter habe plausibel vorgetragen, der neue Hausmeister habe ihn erst nach dem Auszug des Mieters darüber informiert, dass er wegen einer Erkrankung (u. a. Kniebeschwerden) nicht in die im dritten Obergeschoss liegende Wohnung einziehen werde.

    Der BGH hat auch dieses Berufungsurteil aufgehoben und die Sache wiederum an eine andere Kammer des Landgerichtes zurückverwiesen. Er hat hierbei die besondere Bedeutung der vollständigen sorgfältigen Würdigung des Prozessstoffes und des Ergebnisses der Beweisaufnahme durch die Gerichte hervorgehoben. Das gelte gerade in Fällen, in denen ein Vermieter seinen als Begründung der Kündigung angeführten Bedarf an der Wohnung nach dem Auszug des Mieters nicht realisiere. Den Vermieter treffe eine sekundäre Darlegungslast zum nachträglichen Wegfall des geltend gemachten Bedarfes. Setze der Vermieter den behaupteten Selbstnutzungswillen nach dem Auszug des Mieters nicht um, liege der Verdacht nahe, dass dieser Bedarf nur vorgeschoben gewesen sei. Unter diesen Umständen sei es dem Vermieter zuzumuten, substantiiert und plausibel darzulegen, aus welchem Grund der mit der Kündigung vorgebrachte Bedarf nachträglich entfallen sein soll. Diesen strengen Anforderungen sei der Vermieter nicht gerecht geworden. Dessen Vortrag sei unplausibel und kaum nachvollziehbar. Bei einem tatsächlich bestehenden Bedarf wäre zu erwarten gewesen, dass der Vermieter mit dem Hausmeister als neuem Mieter alsbald nach Abschluss des Räumungsvergleiches einen Mietvertrag abgeschlossen oder sich zumindest über den voraussichtlichen Mietbeginn und die genaue Miethöhe verständigt hätte. Hierzu habe der Vermieter nichts vorgetragen. Zudem sei das Landgericht nicht dem Vortrag des gekündigten Mieters nachgegangen, mit dem dieser den vom Vermieter geltend gemachten Bedarf gerade an der streitgegenständlichen Wohnung in Frage gestellt habe.

    Für das weitere Verfahren hat der BGH darauf hingewiesen, dass die dem Vermieter vorgeworfene Pflichtverletzung - also das Vortäuschen eines nicht bestehenden Bedarfes an der Wohnung - als unstreitig zu behandeln sei, wenn der Vermieter seiner besonderen Darlegungslast nicht nachkomme.

    Herbert Krumscheid


    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 3/17

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