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Verhaltensbedingte Kündigung bei irrtümlich angenommenem Zurückbehaltungsrecht
Eine beharrliche Arbeitsverweigerung, die geeignet ist, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen, kann auch darin liegen, dass der Arbeitnehmer sich zu Unrecht auf ein Leistungsverweigerungsrecht und/oder ein Zurückbehaltungsrecht beruft.
Dies stellte das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom 22.10.2015, Az.: 2 AZR 569/14, klar und bejahte im Ergebnis die Rechtsmäßigkeit einer verhaltensbedingten Kündigung aus wichtigem Grund, obschon im streitgegenständlichen Fall nach dem einschlägigen Tarifvertrag eine Kündigung verhaltensbedingt nur noch aus wichtigem Grund möglich war. Im Laufe des Arbeitsverhältnisses hatte der Kläger zunächst wegen „Psychoterrors“ ein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 BGB angekündigt. Nach weiteren Gesprächen wurde ihm eine andere Tätigkeit übertragen. Drei Jahre später machte er ein Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 2 und 3 BGB geltend und begründete dies mit einer „massiven Entwicklungsblockade“, Mobbing und ähnlichem. Der Arbeitgeber wies die Vorwürfe zurück, wertete das Fernbleiben des Klägers von der Arbeit als schwerwiegende Verletzung der Leistungspflicht und kündigte nach einem vergeblich versuchten Personalgespräch und letztmaliger Abmahnung außerordentlich fristlos, hilfsweise außerordentlich mit Auslaufsfrist.
Das Bundesarbeitsgericht hat entgegen dem LAG München die außerordentliche Kündigung als gerechtfertigt angesehen. Ein wichtiger Grund liege vor, da der Arbeitnehmer die von ihm geschuldete Arbeitsleistung beharrlich verweigerte. Die beharrliche Verweigerung sei an sich geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Ob der Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung verpflichtet sei oder nicht, entscheide sich nach der objektiven Rechtslage. Verweigere der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung in der Annahme, er handele rechtmäßig, habe er grundsätzlich selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als unzutreffend erweise. Der Kläger sei im Ergebnis nicht berechtigt, die Arbeitsleistung zu verweigern, weil es ihm gemäß § 275 Abs. 2 BGB nicht unzumutbar gewesen wäre, sie zu erbringen. Nicht jedes den Arbeitnehmer belastende Verhalten des Arbeitgebers oder eines seiner Repräsentanten stelle einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Arbeitnehmers dar. Persönlichkeitsrechte seien nicht allein dadurch verletzt, dass im Arbeitsleben übliche Konflikte auftreten, die sich durchaus über einen längeren Zeitraum erstrecken können. Im streitgegenständlichen Fall nahm das Bundesarbeitsgericht weder bei den einzelnen Verhaltensweisen des Arbeitgebers noch in ihrer Gesamtschau eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers an.
Das Gericht hat auch kein Zurückbehaltungsrecht gemäß § 273 Abs. 1 BGB als gerechtfertigt angesehen. Dem Arbeitnehmer könne ein Recht zustehen, die Arbeitsleistung zurückzuhalten, wenn der Arbeitgeber seine aus dem Arbeitsverhältnis folgende Haupt- oder Nebenpflichten schuldhaft nicht erfülle. So liege es, wenn der Arbeitgeber oder einer seiner Repräsentanten die Gesundheit des Arbeitnehmers oder dessen Persönlichkeit in erheblicher Weise verletze, und mit weiteren Verletzungen zu rechnen sei. Die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts stehe unter dem Gebot von Treu und Glauben nach § 242 BGB und unterliege dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dementsprechend müsse der Arbeitnehmer unter Angabe des Grundes dem Arbeitgeber klar und deutlich mitteilen, er werde dieses Recht mit Blick auf eine ganz bestimmte, konkrete Gegenforderung wahrnehmen. Im streitgegenständlichen Fall hätte allerdings der Arbeitnehmer mit seinen letzten Äußerungen ein solches Recht nicht für sich in Anspruch genommen.
Der Kläger könne sich auch nicht auf einen entschuldbaren Rechtsirrtum berufen. Der Arbeitnehmer trage das Risiko eines Rechtsirrtums grundsätzlich selbst. Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liege nur vor, wenn der Arbeitnehmer seinen Irrtum auch unter Anwendung der zu beachtenden Sorgfalt nicht hätte erkennen können. Dabei seien strenge Maßstäbe anzulegen. Es reiche nicht aus, dass er sich für seine eigene Rechtsauffassung auf eine eigene Prüfung und fachkundige Beratung stützen könne. Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liege nur dann vor, wenn der Arbeitnehmer nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht damit zu rechnen brauchte. Ein normales Prozessrisiko entlaste den Arbeitnehmer nicht. Da sich der Kläger im streitgegenständlichen Fall nicht einmal fachkundig beraten ließ, lagen diese Voraussetzungen auch nicht vor.
Diese Entscheidung verdeutlicht, wo die Grenzen eines Zurückbehaltungsrechts liegen. Im Arbeitsleben kommt es naturgemäß zu kleinen Missstimmungen. Solange es sich um im Arbeitsleben übliche Konflikte handelt, begründet dies in keiner Weise ein Zurückbehaltungsrecht. Weiterhin ist festzustellen, dass ein Arbeitnehmer „grob fahrlässig“ handelt, wenn der ohne Rechtsrat einen solchen Schritt geht.
In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 6/16
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