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    Koalitionsvertrag: Was bringt er für Aktionäre und ihre Gesellschaften

    Im Aktienrecht galt lange das geflügelte Wort von Wolfgang Zöllner zur „Aktienrechtsreform in Permanenz“. Zöllner fügte seinem Aufsatz den skeptischen Untertitel hinzu: „Was wird aus den Rechten des Aktionärs?“ (veröffentlicht in der Zeitschrift Die Aktiengesellschaft 1994, S. 336 ff.) Der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD steht zwar unter dem Motto: „Neuer Aufbruch – neue Dynamik“. Die dort angekündigten Schritte beschränken sich in Hinblick auf Aktiengesellschaften aber auf Änderungen in Nuancen. Sie lassen den einen hoffen (Initiative Minderheitsaktionäre: „Koalitionsvertrag … für Aktionäre … Schritt in die richtige Richtung, greift aber zu kurz“), andere bangen (Deutsches Aktieninstitut zum Thema Aktiensparen, der Vertrag „enttäuscht … auf ganzer Linie“). Da lohnt ein Blick auf Details.

    Zunächst zur Gesellschaftsgründung: Die Koalition will die „Gründungskultur“ fördern und „im ersten Jahr der Gründung die Bürokratiebelastung auf ein Mindestmaß reduzieren“. Die Koalitionäre „werden Hürden für den Gründungsprozess abbauen“ und dabei „Anpassungen im Insolvenzrecht“ – zwar nicht vornehmen, aber immerhin – „prüfen“ (Rn. 1848 ff.). An anderer Stelle versprechen sie Strukturen, die Neugründungen sowie Nachfolge in der Start- und Übergangsphase unterstützen (Rn. 2845 ff.). „Wo erforderlich“ werde man das Kartellrecht modernisieren, um „exzellente regulatorische Rahmenbedingungen“ für die deutsche und europäische Digitalwirtschaft zu schaffen; dazu gehörten Verfahrensbeschleunigung und eine Neufassung der Marktabgrenzung (Rn. 1943 ff.). Die Koalition sagt die Überprüfung der Gesetze, auch aller bisherigen, auf ihre Digitaltauglichkeit zu. Sie sollen „E-Government-fähig“ werden. Dazu gehöre die „ehrgeizige Überprüfung der Schriftformerfordernisse“ (Rn. 2025 ff.). Ungeachtet des Bekenntnisses zur Digitalisierung will sich die Koalition auch auf europäischer Ebene bei Online-Registrierungen von Gesellschaften für „effektive präventive Kontrollen und zuverlässige Identitätsprüfungen“ einsetzen, um die Richtigkeit der Eintragung und den Vertrauensschutz öffentlicher Register zu gewährleisten; „einfache Online-Anmeldungen“ lehnen die Koalitionäre ab (Rn. 6181 ff.).

    Grenzüberschreitende Sitzverlegungen von Kapitalgesellschaften: Die Koalition will sich für die europäische Gesetzesharmonisierung „unter Wahrung der Rechte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einschließlich der Unternehmensmitbestimmung, der Gläubiger und der Minderheitsgesellschafter“ einsetzen (Rn. 6174 ff., ähnlich Rn. 2337 ff.).

    Frauen in Führungspositionen: Die Koalition bemängelt, dass Frauen „noch immer unterrepräsentiert“ sind. Sie will den Weg des „Gesetzes für mehr Frauen in Führungspositionen“ (sogenanntes „FüPoG“) fortsetzen. Die Koalition will „ein besonderes Augenmerk auf Unternehmen ohne Frauen in Führungspositionen legen, die sich eine Zielgröße ‚Null‘ geben“. Sie will die Wirksamkeit des Gesetzes verbessern. Dazu soll die Nichteinhaltung der Meldepflicht für Zielvorgaben für Vorstände und Führungsebenen und die Begründungspflicht bei der Angabe der Zielvorgabe „Null“ mit Ordnungsgeld sanktioniert werden (Rn 944 ff).

    Wirtschaftskriminalität: Die Koalition will ihre wirksame Verfolgung und Ahndung „sicherstellen“. Sie kündigt Unternehmenssanktionen an: Sie werde „sicherstellen, dass bei Wirtschaftskriminalität grundsätzlich auch die von Fehlverhalten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern profitierenden Unternehmen stärker sanktioniert werden“. Bisher liege es im Ermessen der Behörde, ob auch das betreffende Unternehmen verfolgt werde. Von diesem sogenannten Opportunitätsprinzip will die Koalition abkehren und stattdessen für bundesweit einheitliche Rechtsanwendung sorgen. Klare Regelungen sowie „konkrete und nachvollziehbare Zumessungsregeln für Unternehmensgeldsanktionen“ sollten die Rechtssicherheit der betroffenen Unternehmen erhöhen. Gleichzeitig will man „spezifische Regelungen über Verfahrenseinstellungen schaffen, um der Justizpraxis die notwendige Flexibilität in der Verfolgung einzuräumen“. Das Sanktionsinstrumentarium soll erweitert werden. Die bisherige Bußgeldobergrenze von bis zu 10 Millionen Euro sei für kleinere Unternehmen zu hoch und für große Konzerne zu niedrig. Künftig werde sich die Höhe der Geldsanktion an der Wirtschaftskraft des Unternehmens orientieren. Bei Unternehmen mit mehr als 100 Millionen Euro Umsatz soll die Höchstgrenze bei zehn Prozent des Umsatzes liegen. Die Koalition kündigt „weitere Sanktionsinstrumente“ an, ohne diese zu benennen. Sanktionen sollen „auf geeignetem Weg öffentlich bekannt gemacht werden.“ (Rn. 5912 ff.)

    Aktienrechtliches Beschlussmängelrecht: Der Vertrag kündigt relativ konkret Änderungen an. Die Koalitionsparteien wollen „im Interesse des Minderheitenschutzes und der Rechtssicherheit Brüche und Wertungswidersprüche beseitigen“ (Rn. 6191 f.). Dies könnte auf eine Modifizierung des sogenannten aktienrechtlichen Freigabeverfahrens zugunsten effektiver Rechtsmäßigkeitskontrolle zielen. So sieht das auch der Düsseldorfer Gesellschaftsrechtsprofessor Ulrich Noack, der schreibt: „Die seltsame Zweispurigkeit der geltenden Bestimmungen, die einerseits die Anfechtung recht großzügig ermöglicht, andererseits sie im Folgenden per Freigabeverfahren ins Leere laufen lässt, dürfte einer dieser ‚Brüche und Wertungswidersprüche‘ sein.“ Das Verfahren erlaubt derzeit beispielsweise, dass rechtsmissbräuchliche Strukturmaßnahmen dauerhaft wirksam werden (vgl. Newsletter Sonderausgabe 1/17)

    Der Kölner CDU-Bundestagsabgeordnete Heribert Heribert Hirte (Ordinarius für Gesellschaftsrecht an Universität Hamburg und Mitglied im Rechtsausschuss des Bundestages) hatte schon 2010 in der Festschrift für Wienand Meilicke das Freigabeverfahren kritisiert. Es reduziere „die Kontrollfunktion der Anfechtungsklage über Gebühr und stärkt das Management in nicht zu rechtfertigender Weise“ (S. 201 ff., 221). Insoweit könnte sich eine für die Praxis wichtige Korrektur des Beschlussmängelrechts zugunsten eines effektiven Rechtsschutzes andeuten.

    Spruchverfahren: Die Koalition versieht diese Verfahren mit den Attributen langwierig und teuer. Konkrete Reformmodelle gibt es nach dem Wortlaut des Koalitionsvertrages zwar noch nicht. Angekündigt ist aber eine Evaluierung dieser Verfahrensart – freilich „unter besonderer Berücksichtigung der Interessen von Minderheitsaktionärinnen und -aktionären sowie Kleinanlegerinnen und -anlegern“ (Rn. 6193 ff.). Das mag eine Richtung vorgeben.

    Musterfeststellungsklage: Deren Einführung bis zum 1. November 2018 soll die „Rechtsdurchsetzung für die Verbraucherinnen und Verbraucher verbessern“. Die Klagebefugnis soll sich auf „festgelegte qualifizierte Einrichtungen“ beschränken, um eine „ausufernde Klageindustrie zu vermeiden“. Gedacht ist offenbar an Einrichtungen wie Verbraucherzentralen. Zur Einleitung des Verfahrens sind mindestens zehn individualisiert Betroffene schlüssig und glaubhaft darzulegen; für die Durchführung des Verfahrens bedarf es 50 Anmeldungen zum Klageregister binnen zwei Monaten. Die Feststellungen des Urteils sollen die Beklagte und die im Klageregister angemeldeten Betroffenen binden (Rn. 5807 ff.). Für welche aktien- oder kapitalmarktrechtlichen Ansprüche diese neue Klageart geeignet sein könnte, lässt sich noch nicht absehen.

    Finanztransaktionssteuer: In steuerlicher Hinsicht drohen neue Belastungen. Die Koalition will die „Einführung einer substantiellen Finanztransaktionssteuer … zum Abschluss bringen“; an dem Ziel halte man „im europäischen Kontext … fest“ (Rn. 190 f. und 3118 f.).

    Internal Investigations: Ein wichtiger Streitpunkt in der (aktien-)gesellschaftsrechtlichen Praxis sind in jüngerer Zeit interne Ermittlungen gewesen. VW hatte sich zB zur Abwehr einer Sonderprüfung darauf berufen, man ermittele doch intern, daher bedürfe es keiner von der Hauptversammlung angeordneten Sonderprüfung (vgl. dagegen das OLG Celle, Newsletter 9/17). Der Koalitionsvertrag befasst sich nicht mit dieser Grenzziehung, sondern kündigt Reformen an (Rn. 5933 ff.): „Um Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen, werden wir gesetzliche Vorgaben für Internal Investigations schaffen, insbesondere mit Blick auf beschlagnahmte Unterlagen und Durchsuchungsmöglichkeiten. Wir werden gesetzliche Anreize zur Aufklärungshilfe durch Internal Investigations und zur anschließenden Offenlegung der hieraus gewonnenen Erkenntnisse setzen.“

    Reform der EU-Aktionärsrechte-Richtlinie: Nichts sagt der Koalitionsvertrag über diese wichtige Aufgabe der neuen Legislaturperiode. Die Richtlinie wurde 2017 wesentlich ergänzt. Bis Juni 2019 ist sie in das nationale Recht umzusetzen. Ein erster Entwurf des Umsetzungsgesetzes wird bis Herbst 2018 erwartet. Darin wird es um wichtige Fragen der Aktienrechtspraxis gehen: Identifikation und Information des Letztaktionärs, Vorstandsvergütung (zwingendes Aktionärsvotum zur Vergütung der Mitglieder der Unternehmensleitung, jedenfalls von Vorstand und Aufsichtsrat; jährliche Vorlage eines Vergütungsberichts), Geschäfte mit Großaktionären und deren Transparenz („related party transactions“) sowie Pflichten der Vermögensverwalter und Stimmrechtsberater.

    Dr. Heidel

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 3/18

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