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    BGH schafft weitere Rechtssicherheit für die Bestellung eines Besonderen Vertreters nach § 147 AktG zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft

    Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 28. November 2023 (Az. II ZR 214/21) eine wegweisende Entscheidung zur Bestellung eines Besonderen Vertreters nach § 147 Aktiengesetz (AktG) zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen das herrschende Unternehmen getroffen. Dabei hat er bei zwei in der Praxis enorm wichtigen Fragen Klarheit geschaffen: Zum einen hat er entschieden, wann ein herrschendes Unternehmen von der Beschlussfassung über die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen die Organe der abhängigen Gesellschaft ausgeschlossen ist. Darüber hinaus hat er darüber entschieden, wann ein Beschluss zur Geltendmachung von Ersatzansprüchen nach § 147 Abs. 1 AktG hinreichend bestimmt ist.

    Sachverhalt:

    Der BGH-Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Beklagt war eine börsennotierte Aktiengesellschaft (AG), deren Gegenstand unter anderem der Betrieb von Hotels und gastronomischen Betrieben im In- und Ausland ist. Die Mehrheit der Aktien an der AG (knapp 52 %) hielt eine in der Hotellerie und Touristikbranche tätige Unternehmensgruppe (nachfolgend: das herrschende Unternehmen). Zweitgrößte Aktionärin war mit einem Aktienanteil von knapp 34 % die Klägerin. Die restlichen Aktien befanden sich in Streubesitz. Die AG erwarb im Jahr 2015 vom herrschenden Unternehmen 100 % der Gesellschaftsanteile an einer Hotelgesellschaft auf den kanarischen Inseln zum Kaufpreis von 34 Mio. €.

    Die Klägerin bezweifelte die Angemessenheit des Kaufpreises und war der Auffassung, dem herrschenden Unternehmen sei verdeckt Vermögen der AG zugewendet worden. Aus diesem Grund beschloss die Hauptversammlung (HV) im Jahr 2015 auf Antrag der Klägerin, u.a. gegen das herrschende Unternehmen Ersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb der Hotelgesellschaft geltend zu machen. Zugleich bestellte sie einen besonderen Vertreter zur Geltendmachung der Ersatzansprüche. In der HV des Jahres 2016 stimmte sie darüber ab, ob Ersatzansprüche der AG aus diesem Erwerb ergänzend auch gegen Mitglieder ihres Aufsichtsrats und ihres Vorstands als Gesamtschuldner geltend gemacht werden sollen und hierzu ein besonderer Vertreter bestellt werden soll. Da der Versammlungsleiter das herrschende Unternehmen bei der Beschlussfassung mitstimmen ließ, wurde der Beschlussantrag mit deren Stimmen abgelehnt.

    Die Klägerin begehrte im Wege der Anfechtungsklage die Nichtigerklärung der gefassten Beschlussablehnung und im Wege der positiven Beschlussfeststellungsklage die Feststellung, dass der Beschluss in Wahrheit gefasst worden ist. Erstinstanzlich hatte das Landgericht die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hatte hingegen der Klage stattgegeben. Der BGH hat nun das Berufungsurteil bestätigt, sodass die Klägerin vollumfänglich obsiegte.

    Wesentliche Urteilsgründe:

    Der BGH musste sich in seiner Entscheidung mit zwei Fragen auseinandersetzen: Im Rahmen der Anfechtungsklage (also der Nichtigerklärung der vom Versammlungsleiter festgestellten Beschlussablehnung) musste er die persönliche Reichweite des Stimmverbotes in § 136 Abs. 1 Satz 1 Var. 3 AktG bestimmen. Im Rahmen der positiven Beschlussfeststellungsklage (der gerichtlichen Feststellung des tatsächlich gefassten Beschlusses) musste er sodann prüfen, ob der Geltendmachungs- und Bestellungsbeschluss nach § 147 AktG auch im Übrigen rechtmäßig war, insbesondere ob der Geltendmachungsbeschluss hinreichend bestimmt war.

    Nach § 136 Abs. 1 Satz 1 Var. 3 AktG kann niemand für sich oder für einen anderen das Stimmrecht ausüben, wenn darüber Beschluss gefasst wird, ob die Gesellschaft gegen ihn einen Anspruch geltend machen soll. Ausdrücklich erfasst das Gesetz damit nur das Stimmrecht des Aktionärs, gegen den die Geltendmachung von Ansprüchen beschlossen werden soll. Da es hier nicht um Ansprüche gegen das herrschende Unternehmen selbst, sondern um Organmitglieder der AG ging, denen vorgeworfen worden war, gemeinsam mit dem herrschenden Unternehmen zu dessen Gunsten gehandelt zu haben, konnte der BGH § 136 Abs. 1 Satz 1 Var. 3 AktG nicht unmittelbar anwenden. Der BGH stellt aber klar, dass § 136 Abs. 1 Satz 1 AktG in vergleichbaren Fällen sinngemäß anzuwenden sei, wenn das Ausmaß des Interessenkonfliktes für den Aktionär identisch sei. Im vorliegenden Fall käme insbesondere der Grundgedanke des Stimmverbotes zum Tragen, dass ein Gesellschafter nicht Richter in eigener Sache sein dürfe. Dies gelte auch für ein herrschendes Unternehmen, dem vorgeworfen werde, ein für die AG nachteiliges Geschäft zum eigenen Vorteil veranlasst zu haben – denn das nachteilige Rechtsgeschäft zwischen herrschendem Unternehmen und der abhängigen AG sei nur durch die Mitwirkung von Vorstand und Aufsichtsrat der AG möglich gewesen. Eine Beschlussfassung über die Geltendmachung von Ersatzansprüchen aufgrund eines solchen Sachverhaltes gegen die Organe der abhängigen Gesellschaft missbillige damit zugleich eigenes Fehlverhalten des herrschenden Unternehmens. Dieses Richten in eigener Sache sei dem herrschenden Unternehmen aber versagt. Aus diesem Grund habe das herrschende Unternehmen bei der Beschlussfassung über die Geltendmachung von Ersatzansprüchen einem Stimmverbot unterlegen. Der BGH bestätigte zudem, dass dieser Stimmrechtsausschluss ebenso bei der Bestellung eines besonderen Vertreters für die Geltendmachung der Ersatzansprüche gelte.

    Im Rahmen der positiven Beschlussfeststellungsklage urteilte der BGH, dass ein Geltendmachungsbeschluss nach § 147 Abs. 1 AktG dann hinreichend bestimmt sei, wenn er im Einzelnen umreiße, worin die Pflichtverletzung und der Tatbeitrag der Mitglieder des Vorstands oder des Aufsichtsrats bestehen sollen, gegen die Ersatzansprüche der Gesellschaft geltend gemacht werden sollen. Der Lebenssachverhalt, auf den der geltend zu machende Ersatzanspruch gestützt werde, müsse in einem Geltendmachungsbeschluss nach § 147 Abs. 1 AktG ausreichend klar und konkret beschrieben sein, damit Vorstand und Aufsichtsrat bzw. der besondere Vertreter den Umfang seines Mandats erkennen könne und die Gerichte – im Fall der Bestellung eines besonderen Vertreters – dessen Vertretungsmacht prüfen könnten. Es käme nicht darauf an, ob die Anspruchsverfolgung Aussicht auf Erfolg habe.

    Stellungnahme

    Die Entscheidung des BGH ist ausdrücklich zu begrüßen, führt sie doch für Aktionäre zu deutlich größerer Rechtssicherheit bei der Bestellung eines Besonderen Vertreters. Auf den ersten Blick mag erstaunen, dass diese wegweisende BGH-Entscheidung mit weniger als sechs Seiten recht kurz ist. Der Grund dafür ist, dass der BGH die hier virulenten Rechtsfragen bereits vor 38 Jahren zur GmbH beantwortet hatte (BGH, Urteil vom 20. Januar 1986 – Az. II ZR 73/85, BGHZ 97, 28). Schon damals hatte er entschieden, dass das Stimmverbot des Gesellschafters sich auch auf Beschlussfassungen gegen Mittäter erstrecke und für eine Geltendmachung von Ersatzansprüchen ausreiche, dass Pflichtverletzung und die Tatbeiträge der einzelnen Täter umrissen werden. Der BGH hat in seiner aktuellen Entscheidung also lediglich seine bisherige Rechtsprechung zum besonderen Vertreter konsequent weitergeführt.

    In Folge dieser Rechtsprechung aus 1986 hatten interessierte Akteure und teilweise auch die Instanzrechtsprechung die Rechtsansicht vertreten, die BGH-Rechtsprechung zur GmbH könne man nicht auf die AG übertragen – freilich ohne einen sachlichen Grund für diese Ungleichbehandlung zu liefern. Die Gegenansicht (z.B. aus unserer Kanzlei Heidel/Lochner, Aktien- und Kapitalmarktrecht, 2. Aufl. 2007, § 147 Rn. 9; Lochner/Beneke, Der Besondere Vertreter in Hauptversammlung und Prozess: aktuelle Praxisfragen, ZIP 2015, 2010, 2011; Beneke, Der Besondere Vertreter nach § 147 AktG, Dissertation, 2017, S. 83 f.) blieb bis zur hiesigen BGH-Entscheidung Minderansicht. Nunmehr hat der BGH ausdrücklich klargestellt, dass seine zur GmbH ergangenen Rechtssätze auch auf die AG anwendbar sind.

    Ein besonderer Vertreter ist immer dort wichtig, wo die checks and balances zwischen Vorstand und Aufsichtsrat nicht richtig funktionieren. Das ist insbesondere in der (hier vorliegenden) Konstellation der Fall, in der die Besorgnis besteht, dass ein herrschendes Unternehmen sich mithilfe der Organe der AG Sondervorteile zugeschanzt hat. In dieser Konstellation werden Vorstand und Aufsichtsrat nicht die Pflichtverletzungen des jeweils anderen Organs oder gar des herrschenden Unternehmens verfolgen und werden gleichzeitig vom herrschenden Unternehmen gedeckt. Durch das Stimmverbot des herrschenden Unternehmens nach § 136 Abs. 1 Satz 1 Var. 3 AktG wird das Mehrheitsrecht faktisch zum Minderheitenrecht. Der hiesige Fall zeigt gut, dass ein „Minderheitsaktionär“ nicht nur mit ein paar wenigen Aktien beteiligt sein muss, sondern auch ein solcher sein kann, der mit knapp 34 % an der Gesellschaft beteiligt ist.

    Dr. Moritz Beneke

    In folgendem Newsletter erschienen : Newsletter 1/24

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